Wer traut sich was, wer reißt hier noch was rum?“ Ja, Panik sind ambitioniert, anmaßend vielleicht. Wie schon dem Vorgänger-Album „The Taste And The Money“ stellen sie nun auch dem Video zu ihrer Single „Alles, hin, hin, hin“ ein Manifest voran, das die Gruppe in deutlicher Opposition zu den  Verhältnissen und klarer Abgrenzung zu all ihren gefühlsduseligen und kumpelhaft verbandelten Kollegen in der deutschsprachigen Pop-Landschaft präsentiert. „Wir sind reine Differenz. Die Substanzlosigkeit ist unsere Substanz. Der Mangel unsere glänzendste Eigenschaft. Wir werden rauben, stehlen, plündern, niedermetzeln. Wir werden nichts erklären, nichts begründen. Wir haben nichts anderes verloren als unser Interesse.“ Ja, Panik trauen nichts und niemandem, nicht den Emotionen, die in ihren Liedern zum Ausdruck gebracht werden, nicht dem eigenen Modell, der als heterosexuell konnotierten Jungs-Band und vor allem auch nicht der Negierung all dessen.

Auch sonst bietet „The Anst And The Money“, das neue Album der mittlerweile von Wien nach Berlin gezogenen Band, wieder einmal allerlei Gründe, ihnen in dümmlicher Stammtischmanier das Adjektiv „pseudointellektuell“ vor den Latz zu knallen und dabei getrost unter den Teppich zu kehren, dass es sich bei  Andreas Spechtls Textcollagen, in denen sich Selbsterdachtes und Fremdgesampletes genauso fließend miteinander verbinden wie Deutsches und Englisches, in denen sozusagen Jochen Distelmeyer und Falco zusammengedacht werden, um das wahrscheinlich gleichermaßen Enervierendste wie Berührendste handelt, was Popmusik in dieser Sprache seit den frühen Blumfeld zustande gebracht hat.  Denn wo diese das Zitat bei aller Cleverness doch immer noch mehr oder weniger deutlich als solches erkennbar ließen, verfließen bei Ja, Panik die Grenzen jetzt vollständig. Worte werden ihrer Bedeutung beraubt, übersetzt, zerschnipselt und durchgemischt, sodass es am Ende wahrscheinlich eines ganzen Kongresses von Sprachwissenschaftlern benötigte um die verwendeten Quellen, die aufgeschnappte Sprachfetzen aus der U-Bahn genauso umfassen, wie die Werke Bob Dylans oder Robert Musils, wenigstens einigermaßen sicherzustellen. Dass dabei dann wieder ganz eigene Geschichten entstehen, zum Beispiel darüber wie es ist, sich in immer klammer und kälter werdenden ökonomischen und sozialen Verhältnissen als Band, als Künstler zu positionieren, ist eine ganz logische Folge der Widersprüche, die die Gruppe Ja, Panik ausmachen. Ähnlich wie mit Andreas Spechtls Texten, verhält es sich auch mit der Musik. Diese folgt zwar ganz offensichtlich den Regeln eines Genres, das man heutzutage vielleicht Indierock und früher ganz einfach Beat genannt hätte, erklärt in ihrem Songwriting aber eine Beliebigkeit zum Prinzip , die einzelne Passagen frei gegeneinander austauschbar macht, Strophen zu Refrains werden lässt und andersrum und so das Modell des genialischen Songwriters ad absurdum führt. Wie einst Pavement sind sich Ja, Panik über die Kaputtheit von Rockmusik im Allgemeinen bewusst und plündern und missbrauchen diese jetzt nach Belieben für ihre eigenen Zwecke.

Bei allem hier auf die Spitze getriebenem Poststrukturalismus sind Ja, Panik aber vor allem auch eins, so sexy, humorvoll und mitreißend, wie es die Hamburger Schule leider nie sein wollte oder konnte und wie es wohl nur fünf mitteilungsbedürftige jugendliche Schnösel hinbekommen. Getrieben vom energischen Klavier und Spechtls zwischen  Schnodder und Glamour pendelndem Gesang wird hier eine Energie beschwört, die gleichermaßen von Rausch und Extase, Wut und Rebellion zeugt. „The Angst And The Money“, das ist nicht nur ein Aufbäumen gegen die Angst in den eigenen und allgemeinen Verhältnissen, sondern auch eine Liebeserklärung an die Unvergänglichkeit der Jugend, das Leben,  die Liebe (ja, natürlich irgendwie auch) und das Scheitern ohne sich dabei von den allzugroßen Emotionen überwältigen zu lassen. Das mag anmaßend klingen, prätentiös, streberhaft und nervig, vor allem aber ist es so fordernd, messerscharf, gefährlich, aufregend und herzerweichend wie man es Diskurspop (und nicht nur dem) eigentlich nie wieder zugetraut hatte.

85

Label: Staatsakt / Schoenwetter / Rough Trade

Referenzen: Blumfeld, Falco, Britta, Die Sterne, Ton Steine Scherben, Pavement, The Dresden Dolls

Links: Hompage, MySpace, Blog

VÖ: 25.09.2009

3 Kommentare zu “Rezension: Ja, Panik – The Angst And The Money”

  1. Johannes sagt:

    Sehr gute Rezension! Das ist sicherlich eines der, wenn nicht das beste Album des Jahres.

  2. […] des Mannes mit dem seltsamen Künstlernamen – der sich mittlerweile grob dem Umfeld von Ja, Panik zurechnen ließ – hinterlässt, anstatt das Geheimnis um seine Person, seine Musik auch nur einen […]

  3. […] zum Schmunzeln zu bringen, als auch sich selbst – und nicht zuletzt Andreas Spechtl von Ja, Panik, der zu ihrem ersten Soloalbum einen erheblichen Teil beigetragen hat und hier und heute selbst am […]

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