Der Kritikpunkt „Zu sperrig“ hängt den Geschwistern Friedberger spätestens seit ihrem zweiten Album „Blueberry Boat“ an. Dieses, ihr siebtes Studioalbum, wurde vielerorts nun als ungewohnt leicht zugänglich charakterisiert. Aber eigentlich sind derlei formale Bedenken zweitranging, was ihre Band The Fiery Furnaces angeht. Im Kern sind ihre Stücke vor allem simple Rocksongs mit poppigen Melodien, deren Notenführung unverkennbar ist, egal ob sie anschließend mit Rückwärtssprech-Passagen versehen oder zu mehreren in ein einziges Stück gestopft werden. Deutlicher als auf „I’m Going Away“ wird das kaum werden.

Den größten Ausfall macht darauf noch zu Beginn „Drive To Dallas“. Nachdem Sängerin Eleanor Friedberger zu gemächlich-loungigem Piano- und Gitarrenspiel ihre Ungewissheit ausgebreitet hat, tritt das Stück plötzlich in rasantem Tempo die Flucht an, bei der sich Matthew Friedbergers Finger am Riffbrett überschlagen. Das danach folgende „The End Is Near“, „Ray Bouvier“ oder „Cut The Cake“ könnten aber kaum geradliniger verlaufen: Refrain und Strophe im Wechsel, gen Ende ein kleines Gitarrensolo, das war’s. So unspektakulär das von außen anmutet, umso prächtiger entpuppt sich die Liebe aller Beteiligten zum Detail. War die Rhythmussektion aus Jason Loewenstein und Bob D’Amico auf „Widow City“ noch für schwer fetzende Grooveattacken zuständig, bleibt sie hier dezent im Hintergrund, hält die Musik mit subtilen Verzierungen in Bewegung. Eine angesichts heutiger Lautstärkeübersteuerungen geradezu altmodisch präzise Produktion gibt jeden Klang sauber wieder, sei es das pianohaft anmutende Keyboard, der nur ab und an auch mal knarzende Sechssaiter oder das rhythmische Klatschen in „Even In The Rain“.

In jenem Stück klingt Eleanors Gesang so engagierend wie selten zuvor, kontrolliert steigt er in hohen Tonlagen ab und auf und behält dabei eine bestechende Klarheit. Öfter als sonst ist auch Matts Stimme zu hören, sanft-brummig bringt er einen stimmlichen Kontrapunkt oder tragenden Tiefklang herein. Dass seine Schwester etwas mehr Freiraum zur stimmlichen Akzentuierung hat als zuvor, liegt daran, dass zum ersten Mal alle Texte aus ihrer Feder stammen. Sie muss nicht mehr absurd dichte, zungenbrecherischen Satzkonstruktionen im Hochtempo herunterrattern, auch sind die Texte repetitiver angeordnet und mit weniger obskuren Referenzen vollgestopft. Auf ihre Art weiß auch Eleanor Geschichten zu erzählen, simpler skizzierte Situationen in einem kleineren Rahmen, aber auch atmosphärisch und emotional zugänglich. Redeweisen und Situationen erinnern dabei an alte Hollywood-Filme, als man noch in Nachtclubs rauchen durfte, als eine Reise in den fernen Osten ein munteres Abenteuer war. Charaktere mit sich reimenden und alliterativen Namen wie „Charmaine Champagne“ und „Ray Bouvier“ dürfen natürlich nicht darin fehlen.

Auch wenn „I’m Going Away“ mit melancholischen Einschüben keine einseitige Stimmung wiedergibt, kommt es überwiegend enthusiasmierend und belebt daher. Es fühlhört sich an (auch wenn Präzision in der Ausführung steckt), als hätte sich die Band einfach mal einen Nachmittag gemütlich zusammengefunden und zu Kaffee und Kuchen ein paar feine Songs eingespielt, und anstatt das Ergebnis dutzendfach zu oberdubben und ein paar Extrawindungen einzubauen, es einfach dabei belassen. Bei der stilistischen Sprunghaftigkeit, mit der die Friedbergers jedes neue Projekt anders ausformulieren, ist es unwahrscheinlich dass diese Herangehensweise Bestand haben wird, für dieses Jahr darf man es sich aber mal mit einem Furnaces-Album so richtig gemütlich machen.

85

Label: Thrill Jockey

Referenzen: Bob Dylan, Destroyer, Matthew Friedberger, The Magnetic Fields, Neil Young

Links: Homepage, Thrill Jockey Records

VÖ: 21.08.

Ein Kommentar zu “Rezension: The Fiery Furnaces – I’m Going Away”

  1. […] Auch wenn man nicht jedem der zahlreichen Haken und Windungen auf ihren bis zum 2009er Werk „I’m Going Away“ im Jahrestakt erscheinenden Alben ausnahmslos folgen konnte oder wollte, muss man sich wohl […]

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