HEALTHGet Color

Es ist von Beginn an ein Spiel mit den Extremen. Wo andere den Hörer in Form eines Intros geschmeidig auf den Weg geleiten, prügeln HEALTH bevorzugt gleich drauflos, Kollateralschäden werden billigend in Kauf genommen. Das musste so manch einer, der sich ohne vorherige Höreindrücke womöglich zu sehr vom Bandnamen leiten ließ, auf dem Haldern Pop schmerzlich am eigenen Leib erfahren.

So wurde eine ganze Schar aus der nächtlichen Trance gerissen, als das Quartett aus Los Angeles ohne jede Ankündigung mitten aus dem Soundcheck heraus mit waghalsiger Lautstärke das Zelt nieder wälzte. Ein Einstand, der für heilloses Durcheinander sorgte – einige (vermehrt wohl diejenigen ohne Hörschutz) ergriffen sofort die Flucht und drängelten zurück ins Freie. Dabei glich die Szenerie einem Bild, das auch Tarantino nicht besser hätte auf die Leinwände projizieren können: Mit gequältem Gesichtsausdruck und versteinerter Mine übte man sich in dem hilflosen Versuch, mit den Zeigefingern das Blut in den Ohren zu stoppen. Ein Grad an Intensität, der nicht unbedingt jedem zusagt.

Auf ähnliche Weise funktioniert auch „Get Color“. Der Opener „In Heat“ brettert ohne jede Vorbereitungsphase drauflos und jagt den Hörer mit Gitarren-Bass-Knüppeln und todesmutigen Drums durch die Nacht! Der Weg aussichtslos, würde einem da nicht diese zwielichtige Gestalt die Hand reichen, deren Stimme dem sanften, liebevollen Säuseln des Windes gleicht, ohne dass dabei einzelne Sätze zu verstehen wären. Das Unwirkliche in diesem Moment, die Noise-Soundwalze und das hingebungsvolle, mystische „Flüstern“, das Ausloten von Extremen und deren direkte Gegenüberstellung übt von Beginn an einen ungeheuren Reiz aus. Ein emotionaler Ausnahmezustand fast spiritueller Natur, ein Anblick, der – in der Live-Umsetzung noch um die zuckenden Lichtstrahlen und die fast unkenntlichen, hektischen Bewegungen von John Famigliettie in der Bühnenmitte ergänzt – bei einigen innenpolitisch aktiven Politikern voreilig den Verdacht schwarzer Messen hervorrufen dürfte.

HEALTH kümmert das herzlich wenig. Der kalifornische Vierer geht unbeirrten Schrittes seinen Weg, beweist trotz aller Brachialität von Songs wie „Severin“ oder „Eat Flesh“ zusätzlich ein beneidenswert sicheres Gespür für Singletauglichkeit („Die Slow“), schüttelt nebenbei einen technoiden Bastard wie „We Are Water“ aus dem Ärmel, nur um im direkten Anschluss mit „In Violet“ sphärisch auszuklingen. Eine erstaunliche Entwicklung, an der Sänger Jacob Duzsik sicherlich keinen kleinen Anteil hat, sorgt er mit seiner weichen, zerbrechlichen, leidenschafltichen Stimme wie in „Nice Girls“ oder „Severin“ doch für einen trügerisch beruhigenden Gegenpol zu den nervös antreibenden Percussions, ermöglicht so die eindeutige Abgrenzung von Genre-Kollegen wie Lightning Bolt und holt nebenbei auch noch Fans von My Bloody Valentine ins Boot. Leute, was will man mehr?

87

Label: Lovepump United / City Slang / Universal

Referenzen: Lightning Bolt, Liars, Fuck Buttons, My Bloody Valentine, Big Black, No Age, The Mae Shi

Links: Homepage, MySpace

VÖ: 18.09.2009

3 Kommentare zu “Rezension: HEALTH – Get Color”

  1. Severin sagt:

    Ich freu mich ja sehr, dass mir Health einen Song geschenkt haben. Aber sind sie wirklich dermaßen laut? SO richtig MBV laut? (also nochmal 20 Dezibel mehr als Mogwai)

    Weil dann werd ich mir das Wienkonzert sparen. Ein zweites Mal 1 Monat lautes Ohrensausen brauch ich wirklich nicht.

  2. Pascal Weiß sagt:

    Verpassen solltest Du sie auf keinen Fall, das ist live wirklich reinstes Entertainment! Es genügt, wenn Du Dir günstige Ohrenstöpsel besorgst. Ganz ohne würde ich aber nicht losgehen;)

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