Comfort FitPolyshufflez

Die Idee einer glorreichen und technologisierten Zukunft entspricht in diesen Tagen eher einer verstaubten Science-Fiction-Utopie als der Realität. Die Verhältnisse zwischen Mensch und Maschine haben sich verschoben, die Symptome sind allgegenwärtig. Ein Umstand, der in Industriestädten wie Detroit und der Warp-Heimat Sheffield schon vor längerem auf musikalischer Ebene reflektiert wurde. Der Stuttgarter Produzent Comfort Fit verhilft auf seinem neuen Album „Polyshufflez“  dem popkulturellen Erbe dieser wichtigen Städte zu einer Neuinterpretation.

Die Beats stottern und rauchen wie ein alter Dieselmotor, der vom Strom pulsierender Synthbässe angetrieben wird. Harte Bassdrums zwingen die außer Kontrolle geratene Elektronik zurück in den Takt, dem die Hi-Hats selbst nur schleppend folgen können. Boris Mezga lässt die Maschinenmusik fehlbar werden. Die Musik kann atmen, sie scheint nicht im engen Korsett eines Sequencer-Rasters zu stecken. Die technoiden Ansätze auf „Exabyte“ machen gleich zu Anfang klar in welche Richtung es geht. Allerdings führt einen der eingeschlagene Weg auch an futuristischen Neo-Soul-Stücken wie dem „Rendezvous – Dub“ vorbei, ohne die düsteren Pfade des Dubsteps auf „Wicked Game“ auszulassen. Klassische Samples sind auf „Polyshufflez“ rarer geworden, dafür erwarten einen umso mehr knarzende Bässe und bleepige Synthesizer-Fragmente. Auch die Gästeliste ist enorm gewachsen, mehr als die Hälfte der Tracks werden von Gesang, Rap oder gesprochenen Worten begleitet – eine Entwicklung, die durchaus gelungen ist. Leider werden die großartigen Produktionen dabei allzu häufig zu Statisten, was bei deren Detailreichtum wirklich schade ist. Doch der äußerst stimmig geratene instrumentale Teil der Platte sollte genügen, um Zweifel an der Emanzipation des Beats zu beseitigen.

Das Ergebnis ist also eine Platte, die gegen die selbst auferlegten Dogmen der Digitalisierung arbeitet, ohne auf Selbstreflektion zu verzichten. Das Album lässt sich so als klangliche Metapher für ein hochaktuelles Thema deuten, dessen radikales Potential aber durchaus noch steigerbar ist. Ob dieser kryptische Ansatz wirklich verfolgt wurde, sei dahin gestellt, dem lässigen Groove hört man es so oder so nicht an.

75

Label: Tokyo Dawn

Referenzen: Harmonic 313, Nosaj Thing, J Dilla, Hudson Mohawke, Flying Lotus, Rustie, Blaktroniks

Links: Official Myspace

Vö: 14.08.2009

Ein Kommentar zu “Rezension: Comfort Fit – Polyshufflez”

  1. […] Warp-Veröffentlichungen zu einem elektrisierenden Shuffle-Hybriden. Auf seiner aktuellen LP “Polyshufflez” lässt er die Maschinen fehlbar werden und setzt so ganz eigene Impulse zum omnipräsenten […]

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