Kaizers OrchestraVåre Demoner
Rückblick. Auf dem Albumcover prangt er: Mister Kaizer. Ein Logo, ein Idol, ein Veteran. Im Kampfanzug blickt er durch die überdimensionierten toten Bullaugen einer schwarzen Gasmaske. Stumm, bedrohlich und grotesk. Was darf man von einer Band erwarten, die Gasmasken zu ihrem Symbol statuieren? Die einfache Antwort: Alles, nur nicht Gewöhnlichkeit.
Das war im Jahr 2003. Das Album „Ompa Til Du Dør“ des norwegischen Sextetts war in ihrer Heimat bereits das erfolgreichste norwegischsprachige Album aller Zeiten und die Band auf dem Sprung auch den Kontinent zu erobern. „Kontroll På Kontinentet“ schallte es entsprechend durch die Boxen der Liveveranstaltungen, die einen kollektiven Taumel versprachen. Wehrmachtshelme, Trockeneis, Gasmasken und Schifferklaviere – alles überladen von Wiedersprüchen, die aber angesichts von als Barrégreifer umfunktionierten Mikrofonständern, umjubelten Gitarrensoli auf Knien und ekstatisch traktierten Ölfässern, Blechplatten und Radfelgen völlig in den beifalltosenden Massen untergingen. Noch nie war man über eine Besatzungsmacht derart glücklich! Und je nachdem, ob die Masse genug geschwitzt hatte, gab es dann für besondere Leistungen ein Abschluss-Ständchen namens „Die Polizei“, mit dem sich das Publikum dann selbst feiern durfte.
Dieser Track war bis dato wie, viele andere verstreut zum Besten gegebene Songs, nie auf einem der vier Studioalben enthalten – lediglich auf der Live-CD/DVD „Live At Vega“ konnte man sich von derlei Magie einnehmen lassen. Das aktuelle Raritäten-Album schafft aber Abhilfe – auch wenn die gelungene Studioversion natürlich nicht einen vielhunderstimmigen Chor ersetzen kann, den die Band nur zu dirigieren braucht. B-Seiten, Liveklassiker (teils extra eingespielt) und Restmaterial aus den Studiosessions beleuchten die Randbereiche und fassen die musikalische Entwicklung noch einmal passend zusammen. Wer will, feiert mit den stampfenden Rhythmen, grüßt noch einmal die schief gestimmte Pfeifenorgel oder schunkelt sich ins wodkagetränkte Nirwana. Denn neben der obskuren Mischung aus herumstreunender Osteuropa-Folkloristik und Powerrock haben die Norweger seit jeher auch ihre diebische Freude an kitschigen Balladen, derer es mit „Under Månen“ und dem herrlich überkandidelten „Sonny“ natürlich auch auf der Raritätenzusammenstellung einige gibt.
Der Titeltrack ist ein typischer Racker, „Señor Torpedo“ stampft mit Pauken und Trompeten hinterher. Nicht ganz so ungestüm, wie man die Band aus Anfangstagen kennt und dennoch überzeugend eingängig und eigen. „Den Sjette Sansen“ erinnert mit seinen verschleppten Gitarren und einer prototypischen Melodie an das ganz eigene Kaizers Orchestra-Songwriting, was mit zunehmender Lebensdauer der Band etwas verwässerte. „Kavalér“ stammt aus diesen späteren Tagen, ist entsprechend ein bisschen gradliniger und verliert sich nicht in den möglichst geschickten Verschachtelungen, schon gar nicht in das irre Percussiongewirr der ganz frühen Tracks, die mit Eindeutigkeit zeigten, dass man vom Topfschlagen auf diversen Kindergeburtstagen definitiv Traumata davon leiden kann.
Entsprechend ist diese Zusammenstellung wie viele ihrer Art eine eher zu vernachlässigende Angelegenheit, die nur für Komplettisten und ausgesprochene Anhänger der Fans im höchsten Maße relevant sein dürfte, wobei durchaus viele Titel Albumqualitäten besitzen – allen voran „Prosessen“. Jedoch sind alle Kaizers-Alben schlichtweg immer eher Überbrückungsmusik bis zur nächsten Tour, denn schließlich gilt: Live ist besser. Und dann: „Ompa Til Du Dør“ –„Ompa bist du umfällst“!
6.3 / 10
Label: Petroleum Records / Kaizerecords
Referenzen: Tom Waits, Madrugada, Leningrad Cowboys, Firewater, Rock Plaza Central, Sixteen Horsepower, Get Well Soon, Beirut
VÖ: 27.04.2009
„Ompa Til Du Dør“ (2001)
Dieses Album ist das Manifest der Band. Direkt, ungestüm und vielleicht doch ein wenig verrückt. Wortfetzen wie „Revolver“, „Russisches Roulett“, „Absolut Vodka“ und immer wieder „Hallelujah“, die aus dem norwegischen Sprachwirrwarr herausstechen, komplettieren das ohnehin schon originelle Bild einer norwegischen Truppe, die immer etwas mehr als nur Musik abseits aller plattgetrampelten Pfade macht. Rockmusik als einnehmender orchestraler Tornado. Mit Ölfässern, Seemannspolka und Zigeunerschnitzel.
8.3 / 10
„Evig Pint“ (2003)
Morbide, düster und bedrückend. Kaizers Orchestra verlangsamen das Tempo und nisten sich in der Schattenwelt ein. Mit dabei sind detailverliebte Rocksongs, die herumeiern, als wäre es das ganze Jahr über Ostern. Wenn mit überdimensionierten toten Bullaugen einer Gasmaske vom Albumcover entgegen gelächelt wird, dann ist das auch durchaus ironisch zu verstehen. Denn diese Norweger lieben Kontraste mehr als alles andere.
7.3 / 10
„Maestro“ (2005)
Statt Eisenwaren-Gypsy-Polka ist „Maestro“ weitestgehend die Abkehr von knarzigem Ompa-Charme und rumpeligem Tohuwabohu. Verlustreich, sicher, aber auch die einzige Möglichkeit, sich aus der Repeat-Falle zu winden. Die dunklen Rauchschwaden sind verzogen, das Saufgelage beendet: Zeit für Indie-Disko! Verschroben war gestern, es darf nun auch gradlinig getanzt werden.
7.0 / 10
„Live At Vega“ (2006)
Kaizers Orchestra funktionieren als Unterhaltungsband natürlich live noch viel besser als auf Platte – zumindest waren die kleinen, verschwitzten Konzerte der ersten Jahre eine große Sause. Gerade diese Hochzeit fängt dieses als Essenz zusammengepferchte Album prächtig ein. Alle Hits, alle Killer. Sowohl CD als auch die DVD fangen eher bedächtig an, bevor Stimmung, Alkoholgehalt und Spaß mit längerer Laufzeit deutlich steigen.
7.7 / 10
„Maskineri“ (2008)
Erbarmungslos souverän gelingt wieder einmal die Vermischung von Schifferklavier, Perkussions-Sektion und Bandinstrumentarium – so weltumspannend eklektisch, dass inzwischen sogar dezenteste Elektronik und Calypso Einzug in den Ompa-Gesamtsound erhalten haben. Allerdings häufen sich Melodieumschwünge zu einer Melange des bereits Bekannten: Tränen und Temperamente werden in bedrohliche Atmosphären gehaucht und mit morbider Rhetorik versehen. Es fehlen hier die wahrhaft funkelnden Momente.
6.0 / 10