felice1Ein lonesome Cowboy, der müden Fußes über kargen Grund schlurft, den letzten Schluck des Tages aus seinem Flachmann leert und dann melancholische Melodien samt Staub durch die Kammern seiner an einer Seite leicht erodierten Mundharmonika bläst – er ist jener robuste Mann, der als Symbolfigur unmittelbar mit der amerikanischen Geschichte und dem daraus resultierenden Selbstverständnis verknüpft ist. Der stilisierte Einzelkämpfer aus den Anfangstagen der amerikanischen Geschichte, der wortkarg nie das Ziel aus den Augen verlor: Zu überleben. Da war ein bisschen Rücksichtslosigkeit und Egoismus eine bewundernswerte Eigenschaft und physisch-männliche Stärke unabdingbar, wenn es galt, in der amerikanischen Urbanisierungsgeschichte die Eroberung des westlich und südlich der Ostküstenregion gelegenen Terrains voranzutreiben.

Das Naturheldenepos ist die Grundlage für den amerikanischen Traum, der immer noch als kultureller Eckpfeiler in den Vereinigten Staaten existiert – und auch seine Bedeutung in die Musikszene ausstrahlt. Denn die europäischen Einwanderer brachten ihre eigenen Klänge mit, die sukzessive mit dem neuen, zumeist bäuerlichen Leben verschmolzen und daraus die Stilrichtung machten, deren Name schon viel vom Ursprung vorwegnimmt: Country. Mit Banjo, Slidegitarre, rauem Gesang, Honky-Tonk-Piano und der unvermeidlichen Mundharmonika eingespielt, adaptiert die Musik Landschaft und Leben – und andersrum.

felicebros1Der Entsprechung folgend, könnte dem Deutschen dieses zutiefst amerikanische Genre eigentlich nicht fremder sein. Schließlich fußt unsere Gesellschaft auf anderen Mythen und glorifiziert weder das einfache Leben, die Religion, noch die harte Arbeit. Selbst die Instrumente erscheinen hier wie ein Anachronismus, wie aus der Zeit gefallen. Weit weg vom Land der Kraftwerke. Entsprechend distanziert und kritisch vermag man aus dem alten Europa die kulturelle Eigenart und vor allem die immer noch populäre Verbreitung von Country in den USA sehen – insbesondere die inhaltliche Kehrseite der Medaille, die, in ihrer oft stumpfen Tradition verhaftet, Positionen vertritt, die viele gesellschaftliche und religiöse Entwicklungen schlichtweg verschlafen hat oder bewusst ignoriert. Es ist Musik der herrschenden Weißen, der einfachen Arbeiter, der Gottgläubigen. Country ist das Gegenteil von kosmopolitisch, meinungsoffen und tolerant.

In Zeiten globaler Ab- und Umschwünge hat besonders in den USA der Wertekonservatismus wieder Konjunktur – in noch stärkerer Ausprägung als zuvor. Der Freiheitsmythos, der Überlebensmythos scheint aktueller denn je, obwohl seine Symbolik und seine textlichen wie musikalischen Motive noch weiter zurückreichen, als es Begriffe wie „nostalgisch“ oder „retro“ suggerieren können.

Die Felice Brothers aus einem kleinen Kaff namens Catskill in den Appalachen-Ausläufern erheben diesen Teil der amerikanischen Geschichte zur Maxime und tragen ihn stolz wie eine Monstranz vor sich her. Es ist der hemmungslose Blick in den Rückspiegel, der etwas verklärend versucht, mit Außenseitermythen Identität und Zusammengehörigkeit zu stiften. Es sind Geschichten, die mit ihrem hippie-esken Gehalt einerseits faszinieren – und doch wie aus einer anderen Welt erscheinen, wenn man nicht wie fast jeder Amerikaner unmittelbar mit Jailbirds, Hobos, Cowboys (und Country!) sozialisiert wurde. Obwohl sie viele Dekaden jünger als ihre musikalischen Vorbilder Dylan und Waits sind, ist ihr Denken antiquierter – in steter Verweigerung aktueller Anbindungen. The Felice Brothers flüchten sich in Mythen, Traditionalismen und kleinen Anekdoten, die als mündliche Überlieferungen und Zuspitzungen die Zeit überdauert haben. Handlanger, kleine Gauner, Freundschafts- und Loyalitätsmetaphern. Alles durchtränkt mit religiösem Spirit, der sich nebst direkter Bezugskraft vor allem auf die Todesmotivik bezieht. Mal direkt (wie bei „Memphis Flu“ – der großen Grippewelle 1929), mal zwischen den übersichtlichen Zeilen versteckt, die oft über weite Verse mit inhaltlicher Redundanz aufwarten, was aber kaum auffällt. Zu eigenwillig rückwärtsgewandt erscheint das musikalische Schaffen der vier Felice Brothers, die auch in ihrem optischen Erscheinungsbild der einfachen Siedlertypen eine Entsprechung bieten.

yonderMit klassischem Country- und Folkinstrumentarium von Fidel bis Akkordeon erschaffen sie erstaunlich lässige und hochmelodische Ditties, die in ihrer Aussagekraft beschränkt sind, weil ihnen aus europäischer Perspektive kaum mehr als ein Obskuritätenbonus zugestanden werden kann. „Penn Station“ ist ein kleiner, wirbelnder Hit, wohingegen „Cooperstown“ einen herrlich schwermütigen Gegenpart bildet – in einer Atmosphäre von Dunst, Depression und drohender Gefahr. Ein Song, der im Jahr 1905 spielt. In einem Zeitalter, in der selbst die neugeteerte Hauptstraße und all ihre schnellen Straßenmythen eine ungewohnte Ausbucht von Fortschritt darstellt und somit auch konsequent von der Band thematisch vermieden wird. „Yonder Is The Clock“ dreht am Rad der Geschichte und flüchtet sich in die Übersichtlichkeit der Vergangenheit. Ein legitimer, wenngleich auch etwas mutloser Ansatz, der aber zumindest die Kongruenz zwischen der Ursprünglichkeit der Geschichten und der Musik in Reinform wieder herstellt. Was bleibt, sind jegliches Kritikale vermeidende Erzählungen über Menschen, deren Probleme im Essenziellen des Überlebens verhaftet sind, in deren Welt die Religion lehrt, dass man nicht die Welt verstehen muss, um glücklich zu sein. Damals, in einem anderen Land.

„Yonder Is The Clock“ von The Felice Brothers ist bereits erschienen

Links: myspace, Homepage

 
 

 

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