Review: Takeo Toyama – Etudes
Willkommen! Hier in der Anderswelt von Takeo Toyama herrschen ungewöhnliche Gesetze. „Unterdrücke niemals deinen Spieltrieb!“ heißen sie, oder: „Werde niemals erwachsen!“ Herr Toyama gehorcht diesen Anweisungen aufs Strengste, schließlich ist er ein Japaner. Er lächelt dazu. Und es wirkt ausnahmsweise nicht gequält und aufgesetzt, denn in seinem bunten Kopf macht dies alles Sinn und formt sich zu einer kruden Masse aus lichten Ideen, spinnerten Experimenten und wuschigem Getöse. Willkommen bei den „Etudes“.
Kinder lachen, eine Ahnung von einer Geigen-Stimmprobe schwebt heran, weißer Nebel zieht auf und bereitet die Bühne für das zweite Album dieses Künstlers, der bereits vor zwanzig Jahren als gelernter Pianist irgendwann falsch abgebogen scheint. Nun sitzt er da in seiner eigenwilligen Landschaft, die er moduliert und zersägt, die sowohl Labsal als auch Gegner scheint. Hören wir also einmal genauer hin. „Gauche“ unterbreitet dem Hörer ein Klangspektrum zwischen dissonanten Geigen, kruden Loops und fast karibischem Marimba-Flair. Aber schon zu Beginn blitzt ein subversiver Unterton auf, der als gespenstisch, wenn nicht gar böse gelten kann und das Album mit seinen messerscharfen Blicken immer und immer wieder durchbohrt. Die harmlose Puppenspiel-Atmosphäre kippt ins Grauen, bevor hinterher wieder mit Seelenruhe die blauen Flecken kuriert werden. Als ob gar nichts geschehen wäre.
Es sind instrumentale Kopfreisen, imaginäre Soundtracks zwischen Disney und Lynch. Die aber dann doch vermehrt der Verstörung anhaften. Anstrengend sind die Phasen purer Destruktion, da ist das völlig zerschossene Leierkasten-Interlude „Drawing“ noch von der eher weniger auffälligen Sorte. Dazwischen geht es aber wieder kunterbunt quer durch die Kinderwelt mit quietschenden Mundharmonikas und trötendem Klimbim. Manchmal auch mit quietschendem Klimbim und trötenden Mundharmonikas. In der japanischen Fassung, versteht sich, wie das hervorragend bekloppte „Odd“ in Reinform zelebriert. Das sitzt schief, wackelt und amüsiert sich prächtig. Das sind die leuchtenden Momente einer geradezu überfordernden Platte. Denn mit den Experimenten aus Voodoo, klassischer Jazz-Verschrottung, Karneval und Katzenjammer bedarf es mehr als nur einen Moment der Konzentration, um überhaupt ein Verständnis für diese unordentliche, aber somit höchst menschliche und entdeckende Arbeit bilden zu können. Wäre zwischen bummelndem Flohmarkt-Kleinklein, Monotonie-Wüsten und Agonie noch Platz für ein paar mehr großartige, ergreifende, erfrischende Momente gewesen: Es hätte sich ausgezahlt. So bleibt unrundes, zeitweise wenig nervenschonendes, aber spannendes Mapping übrig. Ein Album in Pyramidenform, eigenwillig und andersartig. Willkommen irgendwo auf der gegenüberliegenden Seite der Popmusik.
6.3 / 10
Label: Karaoke Kalk
Referenzen: Hauschka, Kindergeburtstag mit „ES“ als Clown, Midori Hirano, Avantgarde-Jazz
Links: Karaoke Kalk, MySpace
VÖ: 03.04.2009