Review: Cursive – Mama, I’m Swollen
„I’m at my best when I’m trying to look and think and talk and sing and read and write” – am Liebsten möchte man den ganzen Text aus “From the Hips” zitieren – so punktgenau nimmt die Platte dabei Schwung auf, so lebendig und aufrichtig könnte er auch für sich allein stehen – so passend ist schon der Inhalt nur dieses einen Satzes für das gesamte Album. Tim Kasher hatte in 14 Jahren Cursive nie ein Problem mit Lyrics, vielleicht war es gar immer seine größte Stärke. Nicht zuletzt diese Eigenschaft kommt auch besonders „Mama, I’m Swollen“ zugute, ihrem ersten Werk seit drei Jahren. So rasant, resolut und pessimistisch der Start mit dem Uptempo von „In the Now“ auch sein mag, Zerrissenheit ist wohl die Konstante auf dem Album, dessen Namen man nicht so richtig zu deuten mag. Zwischen Schenkelklopfen, Zähneknirschen und Mut zur Erklärung der großen Zusammenhänge findet alles seinen Platz, hat alles seine Berechtigung.
„I Couldn’t Love You“ zum Beispiel suggeriert im Titel die Unmöglichkeit einer Liebe, im eigentlichen Text hängt Kasher schnell ein „more“ hinten an und schon ist alles umgekehrt zu verstehen. Dann versucht er sich an einer Definition dieses wohl größten lyrischen und künstlerischen Motivs überhaupt, verneint sich selber und steht auch noch zu seinem Wendehals. Das ist etwas befremdlich, macht aber durchweg Spaß. Mal direkt, mal ansprechend und interessant verschachtelt wirkt nichts zu konstruiert und nichts verfällt in Konfusion. Meist ist die letzte Schachtel, die der Song bereithält, auch die, aus welcher dann der größte Springteufel geschossen kommt. Mal mit einem Grinsen, mal mit einem nicht zu deutenden Gesichtsausdruck, manchmal logische Konsequenz für ein geglücktes Crescendo, manchmal eine einigermaßen überraschende Wendung, ist kaum etwas wirklich vorhersehbar.
Wer sich bei vielen Schachteln und schrillen Überraschungen an das Vorgängeralbum erinnert fühlt, könnte später einige neue und spannende Momente missen. „Happy Hollow“ war so nahbar wie ein Kaktus in der Wüste, enthielt einiges Überlebenswichtiges, machte es dem Wüstentouristen aber reichlich schwer, heranzukommen. Und genau da ist „Mama, I’m Swollen“ durchaus anders gestrickt. Die eigenbrödlerische Tendenz ist trotz aller schrägen Kanten nicht gegeben, vielmehr öffnet sich Cursive dem Hörer, stellt sich als Fremdenführer und Animateur auf der eigenen Insel zur Verfügung, ohne jemals zu viel zu verraten. Vegetation und Optik sind grundsolide, die Szenerie stimmt. Viel spannender ist aber die Aufmachung, die Glaubwürdigkeit und die Erzählweise der Geschichten zu jedem besuchten Ort. Was beim überragenden „From The Hips“ mit jugendlichen Ausreißergelüsten und dem idealistischen Ruf nach einer ungehemmten Stimme beginnt, treibt beim abchließenden „What Have I Done?“ einsam im warmen Wasser eines Pools von Beckenrand zu Beckenrand. „I spent the best years of my life waiting on the best years of my life. So what’s there to write about?”, resigniert Tim Kasher schlussendlich vor so ziemlich allem von Nebraska bis El Paso. Ein letztes Mal bäumt sich das Album nach Kräften auf, packt alle vorher gebrauchten Instrumente in diesen Song und unterstützt den armen Kerl mit allem, was da ist. Und wenn der Vorhang fällt bemerkt man, wie erschreckend gut das doch gespielt war.
8.0 / 10
Label:Saddle Creek
Referenzen:The Good Life, Seachange, Modest Mouse, Bright Eyes, Les Savy Fav, Q and Not U
VÖ: 10.03.2009