3Eisige Temperaturen, von vorn auf einen einprasselnder Regen und mit reichlich Wucht von der Seite anschnellende Windböen; die Anreise nach Duisburg sollte Felix, Rinko und mich vor eine harte Probe stellen. Und doch hätte sich keiner von uns einen passenderen Aufgalopp für einen Abend mit den fünf kalifornischen Energiebündeln von Crystal Antlers vorstellen können. Nachdem wir dann reichlich durchnässt im Steinbruch Quartier bezogen, suchten wir uns ein lauschiges Plätzchen, um uns dort mit Johnny Bell, dem Sänger und Bassisten der Band zu treffen. Kaum zu glauben, dass dieser Mann wirklich der Kopf hinter der impulsiven und kraftgeladenen Musik der Crystal Antlers sein soll. Jonny ist eine unglaublich nette und zurückhaltende, ja beinahe schüchterne Erscheinung. Zu dieser Bescheidenheit gehört sicherlich auch, dass er sich nicht darauf einlassen will, in einem Zusammenhang mit etwas bekannteren Bands mit ähnlichem stilistischen und lokalen Hintergrund genannt zu werden, oder gar Teil einer „Szene“ zu sein. Große Verbindungen oder Freundschaften zu Bands wie No Age, Wavves und anderen gebe es nicht. Die Crystal Antlers machen also lieber ihr Ding und lassen die Szene Szene sein. Gleichwohl, so meint er, sei es aber ein ganz eigenes Erlebnis, in seinem Heimatstaat Kalifornien zu spielen. Nahezu alle Konzerte sind dort bekanntlich All Ages, die Jugendschutzgesetze sind restriktiv und all das führe zu völlig anderen Konzerten als in den östlichen Staaten und erst recht als in Europa. Überhaupt, Jonny blüht richtiggehend auf, als er über die Impressionen der ersten Europatour berichtet: Die Behandlung durch die Konzertveranstalter ist besser, die Zuschauer sind energischer, die Distanzen sind kürzer – „Europe is better to tour!“, bemerkt er mit einem Lächeln im Gesicht. Es versteht sich wohl von selbst, dass auf der ersten Europatour und als junge Band im Allgemeinen noch kein Vermögen zu verdienen ist. Doch der ehemalige Schornsteinfeger ist jemand, dem man sofort abnimmt, dass es ihm nicht so sehr aufs Geld ankommt und er glücklich ist, einfach nur Musik machen und anderen das Ergebnis präsentieren zu dürfen. Daher sieht er die Crystal Antlers auch nicht explizit als Liveband: „Es ist wichtig, mit Studioaufnahmen auch ganz andere Leute erreichen zu können als auf unseren Konzerten.“

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Nach der hochgelobten EP aus dem letzten Jahr liegt es nahe, dass sich das Gesamtgefüge ein klein wenig verändert hat. „Früher hat die Band alles Organisatorische selbst gemacht, die Strukturen waren nicht so strikt gefasst“, erzählt Jonny. Was die musikalische Entwicklung betrifft, versuche die Band jetzt, alle Mitglieder ins Songwriting, früher fast ausschließlich Jonnys Aufgabe, miteinzubeziehen. „Das Zusammenspiel von Strophe und Refrain hat sich verändert, da sind wir wesentlich variantenreicher geworden.“ Ansonsten aber setzen die Crystal Antlers auf ihrem neuen Album das fort, was sie auf der EP begonnen haben. Kein Wunder: „Viele Songs waren schon zu großen Teilen fertig, als letztes Jahr die EP auf den Markt kam, in der letzten Phase haben wir nur noch zwei komplett neue hinzugefügt.“ Glücklicherweise blieb somit gar keine Gelegenheit, sich auf einen größeren Bekanntheitsgrad einzustellen und das Album vielleicht etwas weniger experimentell zu gestalten. Es dominiert also weiterhin eine bunte Mischung aus Punk-, Noise- Psych- und Progklängen. Letzteres eher unabsichtlich, wie Jonny mit Nachdruck zu verstehen gibt. „Mit Prog habe ich mich nie so richtig befasst“, gibt er salopp zu. Selbst von Genre- Größen wie King Crimson kenne er nur wenig. Er vermutet, dass dieser Eindruck hauptsächlich der Orgel geschuldet ist. Und dann ist da natürlich noch Obama, eine Personalie, mit der schätzungsweise 100% der US- Bürger konfrontiert werden, wenn sie sich gerade in Europa aufhalten. Nein, durch den Machtwechsel, werde die Wut, die sich in den letzten Jahren angestaut und im Ergebnis zu einer neuen Art von Musik geführt, sicherlich nicht von heute auf morgen verschwinden, ist sich Jonny sicher, dafür seien die Probleme einfach zu fundamental. „Gleichzeitig wird der Wechsel aber auch neue positive Energie bringen.“ Dies wird nicht zuletzt auch eindrucksvoll auf dem im April erscheinenden Debüt-Longplayer „Tentacles“ deutlich. Übrigens sei von vornherein angemerkt, dass dieser Titel zwar spannende Assoziationen aller Art hervorrufen kann, aber jede noch so wahnwitzige Vermutung wohl doch nicht der Realität entspricht. Der Begriff bezieht sich nämlich auf die verschiedenen Musikstile, die die Kalifornier in ihr Soundgewand einbetten, ganz so, als versuchten sie wie gierige Tentakel alles einzufangen, was ihnen zu Ohren kommt. Und hätte auch nur einer von Euch vermutet, dass John auf die Frage nach Einflüssen ihres Sounds schnurstracks und ohne zu überlegen Otis Redding nennt? Mit einem schüchternen Grinsen verabschiedet sich Johnny händeschüttelnd von uns, schließlich wird es Zeit, die letzten Vorbereitungen für die Show zu treffen. Gleichzeitig stieg natürlich auch bei uns die Vorfreude, das kalifornische Fünfer-Kollektiv endlich in Aktion zu sehen…

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(Felix und Pascal)

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