Special: Island in 10 Alben (Teil 2)
Klischees sind an Island behaftet – und das mit einer doppelten Portion Pattex. Kein Wunder, denn das Land bewegt die Fantasie, lässt Empfindungen zu, die anregend wirken. Sei es die unbändige Wildheit, die endlosen kargen Flächen, die Menschen zu Kieselsteinen im Spiel der Natur degradieren oder eben die Menschen, die mit Walfang, Fischerei und Geothermik ein ganz anderes Leben führen als wir.
Musikalisch steht dieses Land blendend da (was übrigens die meisten Nobelpreisträger und Schönheitsköniginnen im weltweiten Vergleich aufweist, naja, kein Wunder, wenn man das alles auf die 300.000 Menschen herunterrechnet…). In den Bereichen „episch“, „knisplig“ und „melancholisch“ sind sie fast unschlagbar. Nur im Bereich Partyelektronik und HipHop (erwähnenswert hier vielleicht die Bloodgroup und Ghostdigital) gibt es noch große weiße Flecken auf der Landkarte, die wir leider auch nicht empfehlenswert auskritzeln können. Was wir aber können: Euch weitere fünf Alben präsentieren, die garantiert hörenswert sind. Hands down.
Sigur Rós – Ágaetis Byrjun (1999)
Binnen zehn Jahren sind Sigur Rós die beste Band Islands geworden. Mit ausladendem Wehmut, isländisch-ätherischem Singsang und Gitarrenflächen so breit wie isländische Geröllfelder. „Ágaetis Byrjun“ ist erhaben und ehrlich, zugänglich und zugleich wunderbar fragil. Eine Kathedrale von Album, das dem Postrock eine weibliche Seite zugesteht – und das, obwohl die wichtigsten Mitglieder ausschließlich männlich sind. Es gibt wenig Projekte, die so beständig exzellenten Output haben, wie Sigur Rós. Es gibt wenig so außergewöhnliche Livebands.
myspace: Sigur Rós
Stafrænn Hákon – Gummi (2007)
Wundersames Geklimper, traumwandlerische Atmosphären und eine immerwährend interessante Instrumentierung lassen dieses Album wie ein kleines Wunder dastehen. Man muss ihm nur die Zeit zugestehen, sich passend entfalten zu können. Denn die besondere Wirkung erzielt das Auf und Ab der Intensitäten, die Langsamkeit und die vielen Details erst nach und nach. Wer Notwist, Sigur Rós und die verspulteren Múm mag, der wird sich hier wunderbar aufgehoben fühlen.
myspace: Stafrænn Hákon
Mínus – Halldór Laxness (2005)
Man sollte meinen, in einer so friedlichen Welt wie Island (verdammtes Klischee), herrscht nicht die Gewalt, der Dreck und Frust. Aber dennoch scheint der Punk universal zu sein. Bands wie Gavin Portland oder Fighting Shit zeigen, wo der Hardcore-Hammer hängt. Auch Mínus begannen als Noisecore-Vulkan mit einem geradezu verstörend-brutalen Debüt. Nicht lange hat es aber gedauert, bis die Wut in feine Riffs kanalisiert wurde, so dass „Halldór Laxness“ eher songorientiert und jederzeit clever daherkommt. Songs wie das sägende „The Long Face“ sind Extraklasse – und wie die VISIONS schrieb: „Island hat nun eine Rockband“. Und was für eine.
myspace: Mínus
Worm Is Green – Automagic (2003)
Ein klangliches Porträt von Island klingt wie diese Platte. Laptop-Texturen zerlegen die ewigen Flächen, zwischendurch wird Geröll-Beat getanzt und mit weichgezeichneten Aquarell-Nuancen der Küstennebel einfangen. Eingeschlossen zwischen den Westfjorden Hvalfjöður und Borgarfjöður liegt auch Akranes, das Wurmloch von Worm Is Green. Die neuen Songs lassen etwas den verhuschten Charme vermissen, aber dieses Album hat alles. Die Weite des offenen Meeres, den zarten Grünflaum auf den Lavabergen und die knispelnde Gischt der Klippen.
myspace: Worm Is Green
Seabear – The Ghost That Carried Us Away (2007)
Keine Frage, „Arms“ ist der stärkste Popsong, den Island je vernommen hat. Und auch sonst kommt das Album überraschend sommerlich, fröhlich und unbeschwert daher. Hier eine Geige, da ein Horn, dort ein Kontrabass – ausgeholfen haben diverse Freunde und Freundesfreunde, denn Island ist auch ein großes musikalisches Netzwerk. Mastermind Sindri Már Sigfússons hat sich übrigens inzwischen ein weiteres musikalisches Ventil gesucht: Unter dem Pseudonym Sin Fang Bous bringt er Anfang Februar eine Soloplatte namens „Clangour“ heraus, die den Fokus etwas mehr auf dezente Elektronik legt, aber ebenso melodieselig und sympathisch daherkommt.
myspace: Seabear