reykjavik2Hände hoch! Wer kennt mehr als zwei Popbands aus Bonn? Und aus Island? Na eben. Bis auf die Einwohnerzahl von 300.000 Köpfen haben das Nordland und die ehemalige Bundeshauptstadt wohl eher wenig gemeinsam. Woran liegt es also, dass die musikalische Begeisterung in Island um ein vielfaches höher liegt, dass der kreative Output im Verhältnis so exorbitant hoch ist? auftouren.de hat sich auf die Suche gemacht, mit diversen isländischen Künstlern gesprochen und festgestellt: Die isländische Szene bewegt sich um zwei Fixpunkte – die beiden Plattenladen/Label-Konglomerate 12 Tónar und Smekkleysa.

johannjohannssonWir schalten den Fernseher ein. Zwar verstehen wir kein Wort, jedoch überrascht der Kulturblock vor dem Wetter aufs Ungewöhnlichste. Wir gucken aus dem Fenster. Kinder und Jugendliche verbringen ihre Freizeit in einer der 90 Musikschulen des Landes. Wir gehen raus. Kaum eine Veranstaltung kommt ohne Livemusik aus. Was überspitzt klingt und es gewiss auch ein wenig ist, zeigt schnell den hohen Stellenwert, den Musik als Kulturgut in Nachrichten, Erziehung und Freizeit in Island genießt.

Aber anregend ist nicht nur das öffentliche Interesse an Musik, sondern auch die Infrastruktur von Plattenläden und Labels, die schon vor Jahren erkannt haben, dass die Verfilzung zwischen Musikern, Labels und Vertrieb eine sinn- und manchmal sogar gewinnbringende Angelegenheit ist. Das gilt nicht nur, wenn man in musikindustriellen Kategorien denkt, sondern auch, wenn man als Isländer seinen Lebensunterhalt bestreiten will. Zwei Jobmugisons gelten als Mindeststandard – denn als Musiker fällt man aus dem Rahmen der staatlichen Förderprogramme, die immer noch diskriminierenden Charakter aufweisen, wie Jóhann Jóhannsson im Interview bedauert. Kaum einer könne ohne Nebenjob sein Leben finanzieren – in Island werde überdurchschnittlich viel gearbeitet. Und Musik ist Luxus. Denn im Gegensatz zu unbesteuerten Büchern werden fast 25% Abschlagssteuer auf Musikproduktionen fällig, was CDs zu einem Luxusgut ersten Ranges erhebt. Die Auswirkungen der Finanzkrise mit der fast vollständigen Entwertung des isländischen Geldes noch nicht mit eingerechnet.

Aber nicht nur dort treffen gefühltes Selbstverständnis und Realität kollidierend aufeinander. Kaum als Außenstehender mit verklärenden Blicken zu glauben, dass auf Island nicht zuerst die inländischen Produktionen wertgeschätzt werden. Jóhannsson klärt auf, dass der Fokus immer noch allzu sehr auf ausländischen Bands liegt. Erst durch die Etablierung von Festivals wie dem exzellent besetzten Iceland Airwaves mit eigensinnigem Line-Up zwischenbennihemmhemm internationalen Großkalibern und isländischen Independent-Künstlern scheint sich so langsam ein Wandel zu ergeben. Dennoch: Im Vergleich zu Deutschland scheint in Island ein solches Problem eher herbeigeredet. Für 5000 verkaufte Alben (16,6 Alben pro 1000 Einwohner) bekam 2007 Lay Low den Gold-Status verliehen. In Deutschland braucht man derzeit 100.000 Exemplare (1,21 Alben pro 1000 Einwohner)… Birgir von der derzeit inaktiven Formation Maus sieht trotzdem noch Potenziale. Vor allem sei die Radiolandschaft eher karg – und vor allem klassisch ausgerichtet. Ein Ärgernis sind ihm zudem die Monopolisten, die ihre seichte Musik unters Volks bringen, wie er in der Zeitschrift Intro 2001 erzählte: »Die größte Plattenladenkette des Landes beispielsweise, Skífan, hat ein eigenes Label, ein eigenes Studio und besitzt auch noch diverse Radiostationen. Die perfekte Vermarktungskette.«

mausDie Plattenläden spielen in Island eine gewichtige Rolle. In sozialer, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht. »Um zu verstehen, wie die Dinge in diesem kleinen Markt hier funktionieren, muss man wissen, dass alle wichtigen Record Stores hier auch Label sind. Das ist eine unzertrennliche Einheit.«, erklärt Benni Hemm Hemm. Seine Meinung zu den großen Ladenketten wie Sena (ehemals Skífan) ist dabei differenzierender. »Die sind der Langzeit-Gigant, die größte Firma – aber auch die schlimmste. Sie bringen die erbärmlichsten Alben raus und behandeln ihre Künstler auch nicht wirklich gut. Aber wie das immer so ist: Natürlich haben sie auch patente Leute, die in einigen ihrer Läden arbeiten, so dass die Auswahl an Alben manchmal gar nicht so schlecht dort ist. Allerdings liegt auch dort der Fokus auf DVDs oder blöden Videospielen – also keine Läden, die man ernsthaft als guten Plattenladen bezeichnen würde. Trotzdem: Ich verkaufe meine meisten Alben in deren Shops.«

Es ist wie überall im Musikgeschäft. Einige Großfirmen sorgen für den Umsatz, die kleineren treiben beständig die Entwicklungen voran. Mugison bringt es auf den Punkt: »12 Tónar und Smekkleysa sind meine Favoriten. Sie teilen einfach diesen Independent-Gedanken. Ich würde da jederzeit mit meinen Alben hingehen, wenn mich sonst niemand releasen möchte. Das sind zwei tolle Shops – besonders für Musiker.« Und Jóhann Jóhannsson ergänzt: »Das sind die zentralen Elemente für die ganze Island-Szene. Diese selbstproduzierten CDs und CD-Rs sind wunderbar – fast jeder Act hat seine Karriere mit dem Verkauf dieser Aufnahmen in einer dieser Läden angefangen. Aber ich glaube, dass 12 Tónar und Smekkleysa auch nur überleben können, weil sie Labels sind. Allein nur durch die Verkäufe könnten sie sich wohl nicht halten. Allerdings ist das schon Tradition – sogar Gramm, der Vorläufer von Smekkleysa war bereits Label und Plattenladen gleichermaßen.«

shopDie CD-Rs, von denen er spricht, liegen in einem Kasten voller selbstproduzierter und selbstgemachter Platten im Keller von 12 Tónar im Zentrum Reykjavíks. Dort findet man die Independent- und Vinyl-Abteilung, während der helle Bereich im Erdgeschoss eher mit Ständern für isländische Künstler, Klassik, Jazz und World Music vorbehalten ist. Alles ist im schlichten, nordischen Stil und gemütlich eingerichtet.

Benni Hemm Hemm gibt sich euphorisch: »Das ist der Laden, wo man mich antreffen kann. Ich mag die Leute und bin gerne da, um über Musik zu reden. Bei 12 Tónar empfehlen sie dir fantastische Alben, von denen du noch nie gehört hast und bieten dir zwischendurch einen Espresso an. Das ist ein perfekter Laden.«

Jeden Freitag gibt es dort sogar ab dem späten Nachmittag Livemusik – ebenso wie in der neueröffneten Dependenz in Kopenhagen. Und während die Arbeitswoche ausklingt und man in die Sofaecken sinkt, ersinnen die Künstler der Szene neue Projekte. Man kennt sich ja in Island. Sigur Rós kommen vorbei und erzählen, was die Aufnahmen zu ihrem neuen Album machen, Jóhann Jóhannsson startet hier seine Kollaborationen, und es wird über Björk und die großartigen Videos zu »Volta« gesprochen (abermals mit diversen Gastmusikern, u.a. mit Sjón , der u.a. die Björk-Texte für »Dancer In The Dark« schrieb) – es ist der Treffpunkt der Stadt, der alle Synergie-Effekte zu versammeln scheint.

reykjavikNach der Insolvenz des Hljomalind-Shops, der sich bis vor ein paar Jahren noch auf US-amerikanischen Indie spezialisiert hatte und von der Reykjavíker Bevölkerung immer wieder aufgepäppelt wurde, gibt es nur noch einen weiteren wichtigen Vertreter, der die Verknüpfungen der isländischen Szene in Reinkultur verkörpert, was natürlich auch Benni Hemm Hemm nicht entgangen ist: »Smekkleysa hat einen Laden, der mit »Elvis« zusammen gekoppelt ist – einem Klamottengeschäft. Da ist übrigens der Sänger von Mínus der Chef – die releasen ja auch auf Smekkleysa in Island. Zudem gibt es dort noch den Nýhíl-Zirkel – eine Gruppe von jungen Schreibern und Poeten, die dort auch ihre eigenen Texte und Bücher herausgeben. Das ist eine produktive Angelegenheit. Am häufigsten steht dort der Bassist von Jeff Who? hinter der Kasse.«

smekkleysaSmekkleysa (Bad Taste) ist wohl das Vorzeige- Erfolgsmodell der isländischen Szene. Was als Gramm nur sechs Jahre bis zum Bankrott durchhielt, wurde von den Mitgliedern der Formation KUKL reanimiert. Als sich dann der erste Erfolg mit den Sugarcubes einstellte, zeigten sich die ersten Früchte einer Basisarbeit, die bis heute der Garant für die Lebendigkeit und die hohe Qualität (Tipp: Auf der Smekkleysa-Seite gibt es hunderte Downloads) der Produktionen aus Island geblieben ist – besonders auf den beiden einflussreichsten und besten Labels des Landes. Heute zählt die Liste der Künstler auf Smekkleysa über 200 Einträge, aber auch das weitaus jüngere 12 Tónar-Label holt mächtig auf.

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Auffällig ist, dass ausnahmslos alle Musiker, die es jemals nach Deutschland geschafft habe, auf diesen beiden Labels ihre erste Unterstützung erfahren haben. Und weitere werden folgen – vielleicht mit Ghostdigital, auf den gerade die Smekkleysa-Crew besonders stolz ist. Die kleinteilige Vetternwirtschaft und der Spaß am gemeinsamen Musizieren haben weltweit wohl noch nie so positive Effekte gehabt, wie in dem besonderen musikalischen Biotop, was sich Island nennt.

4 Kommentare zu “Special: Islands musikalisches Netzwerk – Plattenläden in Reykjavík”

  1. florian sagt:

    „Hände hoch! Wer kennt mehr als zwei Popbands aus Bonn?“

    *handheb*

  2. Sven sagt:

    Streber.
    *Mit Papierkügelchen bewerf und dir in der Pause dein Essensgeld abknöpf*

  3. Bastian sagt:

    Voltaire und, ähhm, nochmal Voltaire?

  4. […] dieser Stelle findet ihr die Rezensionen zu den Werken von Mammút und Reykjavik!. Hier unser Spezial über die Plattenladenszene in […]

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