Review: Peter Licht – Melancholie und Gesellschaft
Peter Licht, der Popmusiker und Literat ohne Gesicht, bleibt auf und in seinem aktuellen Album „Melancholie und Gesellschaft“ auch weiterhin irgendwie unfassbar. Die Musik: Popdestillat und ein Klavier und eine Gitarre, keine ironische Elektrofrickelei wie auf ‚14 Lieder’. Eine radiokompatible Hülle. Der Text: Weniger potentielle Lösungen, vielleicht auch weniger Zynismus, vielleicht mehr Welt retten. Einiges Liebgewonnenes wurde über Bord geworfen, viel Liebenswertes wurde eingeladen. Irgendwie infantile Reimerei („Trennugslied“) trifft auf Sehnsucht beim Sonnenaufgang („Marketing“), Hoffnung, Liebe, Tod und was sonst noch das menschliche Leben bewegt. Zahnlos geworden? Ganz falsch.
„Beipflichten. Okay finden. Super sagen.“
Wie steht der Melancholiker zu der Gesellschaft? Und umgekehrt? Man kann die Melancholie als Verweigerung verstehen, als Leistungsverweigerung. Wenn sie denn nicht schon längst von der Gesellschaft affirmiert und vereinnahmt wurde; als ein schönes Kategorisierungsmerkmal und Aushängeschild für den modernen Künstler an sich. Der Melancholiker beschwört nicht die Apokalypse. Der Melancholiker ist die Nische, in der der Alltagswahnsinn seine zynische Form findet und damit nicht weiter von der Arbeit abhält. Genauso wie der Außenseiter Teil der Gesellschaft ist, über die er sich definiert. Oder eben nicht definiert. Peter Licht ist nicht Außenseiter, sondern seziert den allgemeinen Wahnsinn von Innen; mit einer ironischen Distanz. Oder doch nicht? Ist es neokonservativ, Forderungen wie „Bitte nie mehr Haut!“ aus zu sprechen? Wir sind doch alle so schön befreit und gleich. Und ist doch auch schön anzusehen, nicht? „Kleidung ist in Ordnung“ wird da zur revolutionär anmutenden Parole in einer Gesellschaft, in der der „Endverbraucher“ regiert, und der möchte das alles gar nicht hören, kein Gut oder Schlecht, konservativ und fortschrittlich, kein Ja oder Nein, sondern ein Grau, ein Mittelgrau, Hellgrau und ein leicht angegrautes Weiß.
„Was sollten wir anders sein als frei? Frei sollten wir sein, sonst können wir uns nicht davon befreien frei zu sein.“
In seinem Text „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ beschreibt Peter Licht diese Undefinierbarkeit und wie schnell sich Zustände durch die geeignete oder ungeeignete Wortwahl ändern können und warum sich der Zustand zwischen Schwermut und Optimismus eigentlich nie wirklich fassen lässt. Was genau möchte Melancholie und Gesellschaft denn jetzt? Nicht agitieren, nicht polarisieren, nicht ernst sein und auch bitte nicht weh tun? Gar nichts von allem. Ja, wunderbare nicht festzunagelende Poesie findet sich auf „Melancholie und Gesellschaft“. Aber vielleicht ja doch gegen irgendetwas: die Gleichgültigkeit.
„Weiß ich doch nicht, wie ich in diesen Plot geraten bin frag ich mich.“
Der Autor Thomas Melle beschreibt in einem Text zu dem neuen Album die Umdeutung der Melancholie, als ein Zustand zwischen Schwermut und Optimismus. Diese Idee charakterisiert das Wesen von ‚Melancholie und Gesellschaft’: „Alles irgendwie blöd. Naja, fast.“ Wir sollten das trotzdem versuchen. „Nach vorn, nach vorn. Die Zukunft leuchtet schon.“
7.7 / 10
Label: Motor
Spieldauer: 46:30
Referenzen: Tod und Teufel, Werbetafel an der Autobahn, Polaroidfotos, Vergessen, Experiment und Ergebnis, Lethargie, Feinde, Kriegsvokabular, Flugzeuge
VÖ: 05.09.2008
man, was ein inzest hier unter den deutschen indie-fanzines ;) aber gute review, doch.
Ja, finde die Rezension auch sehr gelungen. Glückwunsch, Ann-Kathrin;)
[…] überformt 81. …weil „Raccoon“ daran erinnert, dass man öfter alte Platten von PeterLicht auflegen sollte 82. …weil „Let’s Write The Streets“ die Hand am blutenden Herzen hat 83. […]