Jenseits von Monrose

Während das deutsche Privatfernsehen dieser Tage zum mittlerweile 3473. mal öffentlich vorgibt auf der Suche nach neuen Popstars zu sein, um dabei reihenweise Träume junger Mädchen im medialen Feuerwerk zu verheizen, könnte es beinahe in Vergessenheit geraten, dass die Tradition der Girlgroups von den Shangri-Las bis zu den Sugababes in den vergangenen 50 Jahren fast immer ein Quell fantastischer Popmusik gewesen ist. Und auch jenseits der Rundfunkdauerrotation gab es vor allem in den letzten Jahren immer wieder Bands, die sich direkt oder indirekt auf diese Tradition berufen und daran erinnern, dass da draußen eben doch nicht alles Monrose ist.

Those Dancing Days sind zu fünft, kommen aus Stockholm, haben gerade ihren Schulabschluss sowie eine Nominierung für den MTV Europe Music Award in der Tasche und beginnen ihr ziemlich heiß erwartetes Debütalbum „In Our Space Hero Suits“ mit einer Fanfare namens Knights In Mountain Fox Jackets“, ganz schön albern und schon mal grundsympathisch. Bereits im zweiten Stück legen sie dann alle Karten auf den Tisch, das hier ist swingender 60s Pop mit ordentlich Northern Soul-Schlagseite, der ganz prima in das klassische Girlgroupschema passt. Lisa Pyk-Wirströms Synthesizer drängen sich prägnant in den Vordergrund, während Gitarre und Bass sich meist sehr diszipliniert halten und Linnea Jönssons Gesang auf zurückhaltende Art sexy und soulful erscheint. Die Indiedisco dürften sie damit und durch Hits wie „Run Run“, „Hitten“ oder ihrem Quasimanifest „Those Dancing Days“ in der Tasche haben und vielleicht ist das neben der größten Stärke auch das größte Problem dieser Platte. Denn bei aller Sympathie und ohne Frage erkennbarem Talent klingt das Ganze doch oft auch ziemlich konstruiert und formelhaft. Rund um die offensichtlichen Hits hat sich hier leider auch eine gute Handvoll verzichtbares Songmaterial angesammelt, das stur und ziemlich uninspiriert dem immergleichen Schema folgt. „In Our Space Hero Suits“ ist angenehmer Indiepop von der Sorte über die man sich freut, wenn sie im Radio läuft, ein bisschen mehr Abwechslung und eigene Ideen hätten es auf Albumlänge dann aber schon sein dürfen.

Cleverer gehen da die Vivian Girls aus Brooklyn vor, zwar bedienen auch sie sich ganz offensichtlich in der Vergangenheit, greifen dabei aber eine Dekade auf, die im allgemeinen Retrowahn der Nullerjahre noch so gut wie gar nicht zu Ehren gekommen ist. Großbritannien Mitte der 80er Jahre, die Mädchen trugen kurze Haare, die Jungs Anoraks, das popkulturelle Modell des Wimps war geboren. Die Musik von Bands wie den Vaselines, The Wedding Present oder Talulah Gosh brachte passend dazu in ihrer Verhuschtheit Velvet Underground und Byrds zusammen und legte damit den Grundstein für all das ,was man heute Indiepop nennt. Der Punk war noch zu spüren, aber von jeglichem aggressiv männlichem Gebaren befreit. Genau an diesem Punkt setzen auch die drei Vivian Girls mit ihrem Debüt an, die Gitarren schraddeln noch vom Punk getrieben mit viel Feedback durch die Songs, der Gesang dazu ist süßlich und monoton zugleich. Alles scheint flüchtig und verrauscht, so dass man die ausgezeichneten Popsongs dahinter meist erst auf den zweiten Blick erkennt, „Tell the World“ zum Beispiel oder die mehr als deutliche Ansage „No“. Und ehe man überhaupt daran zu denken wagt, dass es eigentlich immer wieder das gleiche Lied ist, das die Vivian Girls uns hier zehn Mal hintereinander präsentieren, ist das Album dann auch schon zu Ende. Ausgefuchst, ein verdammt erfrischendes Teil. In den USA sind sie damit gerade dabei, die Billboard Charts zu erobern. Es sei ihnen gegönnt.

Von einer Girlgroup im eigentlichen Sinn kann man bei Tilly And The Wall nicht sprechen, schließlich werden Jamie, Kianna und Neely (auf Nachnamen legen sie offensichtlich nicht so viel Wert) in Derek und Nick doch um zwei Jungs ergänzt. Auch sonst tanzen die fünf im hier gegebenen Rahmen gehörig aus der Reihe, so ist „O“ bereits das dritte Album der Omaha-Band aus dem Conor Oberst-Umfeld, auf dem sie ihren notorisch gutgelaunten Hippiefolk mit Stepptanzeinlagen statt Schlagzeug um einiges weiterentwickelt haben, meint weniger überbordendes Rasselbandengewusel und ein klares Bekenntnis zum klassischen Popsong. Das Album beginnt mit „Tall Tall Grass“, einer schönen, für die Band ungewöhnlich ernsthaften Lagerfeuerballade und findet seinen Höhepunkt in „Alligator Skin“ und dem darauffolgenden „Chandelier Lake“, die mit allerhand Tand wie Mariachi-Trompeten und Vogelzwitschern ausgestattet, einen Ausnahmestatus im bisherigen Gesamtwerk der Band einnehmen und dazu führen, dass „O“ Tilly And The Walls bisher ausformuliertestes und bestes Album geworden ist. Klar ist sich die Band immer noch für keine Albernheit zu schade, im Gesamtverlauf wimmelt es vor cheesy Synthesizern, wie man sie auch bei Kollegen wie CSS erwarten würde und wer sich einmal das Video zu „Beat Control“ angesehen hat, weiß, dass die Fünf ihren Sinn für mehr oder weniger gehobenen Trash nicht verloren haben. Einen Preis für besonderen Tiefgang gewinnen sie so auch diesmal nicht, dennoch ist es eine gewisse Reife (schon komisch, das ausgerechnet im Zusammenhang mit dieser Band zu schreiben) die „O“ auszeichnet und wenn man denn unbedingt und unsinniger Weise vergleichen will, so lässt sich verkünden, dass Tilly And The Wall im Fotofinish ganz knapp vor den Vivian Girls als Erste dieses Trios ins Ziel trudeln.

6.0 / 10

7.3 / 10

7.3 / 10

Label: Wichita (Cooperative, Universal)  / In The Red / Team Love (Moshi Moshi, Cooperative, Universal)

Referenzen: The Shangri-Las, The Pipettes, Amie Winehouse, Camera Obscura / The Vaselines, Talulah Gosh, Television Personalities, The Wedding Present / Rilo Kiley, Sons And Daughters, Bodies Of Water, CSS

Links: Those Dancing Days, Vivian Girls, Tilly And The Wall

VÖ: 10. 10. 2008 / 13. 10. 2008 (US/UK) / 17. 10. 2008

Ein Kommentar zu “Reviews: Those Dancing Days / Vivian Girls / Tilly And The Wall (alle 2008)”

  1. florian sagt:

    those dancing days sind ganz knuffig. ja, sehr :)

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