Review: Indian Jewelry – Free Gold (2008)
So ganz weiß der Hörer beim ersten Durchgang nicht, wo die Reise hingehen soll. Schon gar nicht, was uns die Platte sagen will. Eine bestimmte Stimmung lässt sich auch nicht direkt festmachen. Vielleicht am ehesten, dass sie beschäftigt werden will. Die Platte jetzt. Es gibt Momente, da ähnelt „Free Gold“ einer Katze, die sich langsam auf einen zubewegt und leicht die Beine berührt. Für einen Moment ist die Wärme deutlich zu spüren. Allerdings ist es eher eine linke Katze. So ein Modell, bei dem zwar klar davon auszugehen ist, dass die Berührung eine klare Aufforderung ist, selbst aktiv zu werden und sich mit dem Tier zu beschäftigen. Ob sie die Berührung dann aber tatsächlich will, weiß sie wohl vorher selbst nicht. Wird der richtige Moment erwischt, legt sie sich brav vor die Füße. Kommt man aber Bruchteile einer Sekunde zu spät, werden die Krallen ausgefahren. Aus der Aufforderung wird klare Ablehnung, ohne das ein Fehlverhalten der Person vorliegt. Es war einfach der falsche Zeitpunkt. Oder der Dickkopf des Tieres. Im Prinzip unerklärlich. Bei vielen Menschen lösen solche Momente sicherlich eher Mistrauen oder Frust aus. Die nächste Katze soll mal schön kommen. Gegrillt wird sie. Genau solche Leute werden mit dieser Platte im Leben nicht warm werden. Sie fordert mindestens kratzige und blutige Arme. Aber: Wer ganz langsam in die Hocke geht, wird wenigstens sein Gesicht schützen können…
Nach der versponnenen 2006er Debut-LP „Invasive Exotics“ machen es einem Indian Jewelry mit ihrem Zweitwerk nun wahrlich nicht leicht. Selbst ganz abgesehen von der Musik. Da sind zum einen die Promo-Fotos auf der Label-Seite – was soll einem das sagen? Dann der Text von Ted Sands, der auch auf der CD abgedruckt ist!? Wer sich hier keine Zeit nimmt, hat eh sofort verloren. Dabei verpasst er womöglich zahlreiche überaus tolle Momente. Denn eins ist auch klar: Je mehr Zeit „Free Gold“ bekommt, desto größer ist die Chance, dass sich die Platte an Dich gewöhnt. Nicht umgekehrt. Zugegeben, allein der Opener braucht eine knapp zweistellige Anzahl von Durchläufen bis überhaupt eine Struktur in der verzerrten Geräuschkulisse erkennbar wird. Und selbst dann bleibt es schwer. „Temporary Famine Ship“ ist da schon um einiges entgegenkommender. Hier wird auf imposante Weise verdeutlicht, was kranke Musik zu was Besonderem machen kann. So ein Song würde sich sicherlich auch gut auf einer Split-EP mit den Liars machen. „Pompei“ schafft es dann zum ersten Mal, den Hörer aufschrecken zu lassen. Ist das wirklich eine sauber gespielte Akustik-Gitarre? Nach knapp 2 Minuten ist der Spuk dann aber auch schon wieder vorbei. „Walking On The Water“ darf zwar vorgeworfen werden, reichlich konfus zu klingen, allerdings versteckt sich hinter der Wand von Geräuschen ein Stück mit starkem Wiedererkennungswert. „Too Much Honkytonking“ lässt dann weiter hoffen, endlich den Zugang zur Platte gefunden zu haben, ehe „Hello Africa“ einige Minuten später wieder berechtigte Zweifel aufkommen lässt. Auch wenn es seltsam klingt: Es ist die Hinterhältigkeit, die diese Platte ausmacht. Momente voller Wärme können innerhalb von wenigen Augenblicken so vom Lärm aufgesogen werden, dass komplett nichts mehr übrig bleibt. Ein einziger Durchgang des Abschlusstracks, dass passenderweise auch noch „Seventh Heaven“ heißt, genügt wohl als Beispiel, da hier innerhalb eines einzigen Stückes die ganze Schwierigkeit der Platte zum Ausdruck gebracht wird.
Aber gerade eben diese Herausforderung kann den Reiz ausmachen. Wer sich hier zurechtfindet, hat musikalisch so schnell nichts mehr zu befürchten. Im Gegenteil: Hat er erst einmal das Ziel erreicht und zumindest ansatzweise Zugang gefunden, wird er so schnell womöglich nicht mehr darauf verzichten können. Was sich für viele aber als durchaus problematisch erweisen kann ist die immense Zeit, die „Free Gold“ einfordert. Zudem ist sie verdammt launisch. Jetzt im Moment jedenfalls löst die Platte ein Wohlgefühl aus. Mal sehen, ob die Katze morgen wieder ihre Krallen ausfährt…
6.7 / 10
Spieldauer: 50:52
Label: We Are Free / Cargo
Referenzen: The Velvet Underground, Psychic Ills, Suicide, Women, Liars, Deerhunter, Sonic Youth, A Thousand Cranes
Links: Homepage, MySpace, We Are Free