KleinTommy EP

Wäre die „Tommy“-EP von Klein ein Gemälde, dann wäre sie ein kubistisches: Fragmentiert, a-perspektivisch und so avantgardistisch, dass der Mainstream davon Bauchschmerzen bekommt, die selbst die Ratiopharm-Zwillinge nicht beheben können.

Die Londonerin, die unter dem Alias Klein nun ihre erste EP veröffentlicht, ist geprägt von der Wuseligkeit ihrer Stadt und dem permanenten Druck, mithalten zu müssen – mithalten im Tempo, in der musikalischen Entwicklung und im sozialen Rahmen, wo Trends zur Wochenware degradiert werden. Entsprechend zerrissen und wenig fokussiert ist „Tommy“ von einer Gestalt, die kaum mehr als Skizzen, zerfledderte Beats und dahingeleierte Stimmsamples offenbart. Wenn man so mag: degenerierte Musik, die ergreifender nicht sein könnte. Wer Mhysas Debüt auf Halcyon Veil mochte, wird mit dieser EP mehr als nur glücklich werden.

Auch Kollege Ben Cardew ist bei Pitchfork mehr als angetan von den Glitches, der manipulierten Kaputtheit, die aus billigen Klängen eine experimentelle Suppe kocht, die aufhorchen lässt. Es fallen Adjektive wie „fehlerbehaftet“, „chaotisch“ und „faul“. Was sich liest wie ein Ausschussprodukt ist auf musikalischer Ebene aber hörenswert: Zerdellte Gesänge, mehrfach geschichtet und verbogen, eröffnen auf „Prologue“ das 24 Minuten lange Werk. Eine Kaskade, ein wasserfallartiger Schwall an Klängen, deren Pitches und Loops nur wie ein „schlecht konstruierter Wolkenkratzer“ erscheinen, wie Cardew anmerkt. Ein allgegenwärtiges Gemurmel, das in fast salbungsvolle Kanongesänge übergeht, bevor sie endgültig über die digitale Klippe in den Häcksler geschubst werden.

„Act One“ kuriert darauf die blauen Flecken mit geloopten Klaviertönen, die jedoch auch nicht lange im Bällebad verharren, sondern auch fix auf die Folterbank gespannt werden. Am Ende schaut noch eine Pseudo-Fee vorbei und singsangt liebliche Töne – welch ein Hohn! Man stellt umweglos fest, dass eigentlich kein Song hier ein gutes Ende nimmt. Zumindest kein erwartbares. So schnitzt Klein das „Cry Theme“ furchtbar böse an und wuchtet „Tommy“ direkt auf die Oxford Street, wo die Passanten – gar nicht höflich englisch – sofort zudringlich werden. „I Never Cry“ heißt es im ersten Song und kennzeichnet den jeweils innewohnenden Sarkasmus dieser Platte.

Kein Beat, kein Sample bleibt hier auf dem anderen. R’n’B-Anleihen lassen sich hier ebenso finden wie Erinnerung an „Black Hole Sun“ von Soundgarden auf „Everlong“, dessen Titel eigentlich Foo Fighters reminisziert. So geht das die ersten fünf Sekunden, bevor Klein den nächsten Haken schlägt und auf „B2k“ Nicolas Jaar zitiert. Für weitere drei Sekunden, bevor Drum’n’Bass-Snares … ach, lassen wir das.

Diese Art von Desorientiertheit ist hochgradig anstrengend, weil Klein kaum übergeordnete Konzeption wahrnehmbar macht: Chipmunk-Autotune in „Runs Reprise“, 90er-Schmalzpop und der notorische, achtfache Stilwechsel pro Song lassen eine klare Linie vermissen. Der rote Faden ist derart zerrissen, dass man Klein für die nächsten Veröffentlichungen nur wünschen kann, dass die Aufmerksamkeitsspanne mehr als fünf Sekunden beträgt. Andererseits ist derart wuchtige Experimentierfreude ein vergnügliches Schmankerl und wirkt im Vergleich zu den verrauschten und noch weniger konzentrierten Eigenveröffentlichungen wie „Langata“ und dem Kaputtnik-Soul von „Only“ wie eine eigene, wenngleich krakelige Handschrift. Ein Werk, das als Analogie zur Londoner Hektik gelten kann und das selbst Picasso in seiner analytisch-kubistischen Phase überzeugt hätte: als ein Abbild der Gleichzeitigkeit von Prozessen, der Multiperspektivität und des Austestens psychologisch-physiologischer Wahrnehmungsgrenzen.

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