Kevin MorbyCity Music

Für sein letztes Album zog sich Kevin Morby in die kalifornische Einsamkeit zurück, dennoch kam der 29-Jährige auf „Singing Saw“ nie zur Ruhe. Bei Nacht jagten ihn singende Sägen durch die eigentlich idyllische Landschaft von Mount Washington, bei Tag trieb ihn die Wut über die Ermordung des Afroamerikaners Eric Garner durch New Yorker Polizisten um. Mit seinem vierten Album „City Music“ kehrt Morby nun in die Großstadt zurück, deren flirrende Betriebsamkeit die Rastlosigkeit im Inneren des Folkmusikers widerspiegelt.

Schon das erste Soloalbum des ehemaligen Bassisten von Woods war eine Liebeserklärung an das Großstadtleben. Für „Harlem River“ schrieb Kevin Morby 2013 in seiner neuen Heimat Los Angeles fiebrige Liebesbriefe an die Stadt New York. Damals trennten ihn tausende Kilometer vom Thema seines Albums und auch auf „City Music“ nähert er sich der Stadt über Umwege. Denn auf den zwölf neuen Songs singt Morby weniger über die Städte, die er auf Tour mit Woods, The Babies oder als Solokünstler bereist hat, sondern über jene Idee von Stadt, die seine Plattensammlung und sein Bücherregal ihm vermittelt haben. Etwa, wenn er in „1234“ den frühen New Yorker Punkrock der Ramones heraufbeschwört, im Refrain die vier Gründungsmitglieder aufzählt und dabei den Song „People Who Died“ von Jim Carroll – einem weiteren einflussreichen Künstler dieser Ära in New York – zitiert. Oder wenn er den Song „Caught In My Eye“ der Germs aus Los Angeles covert, ihn von der Aggression und Wut der Punkband befreit und stattdessen die simple Schönheit des Textes in den Vordergrund stellt.

Doch da alle Lieblingsplatten von Kevin Morby – das haben schon seine vorherigen Veröffentlichungen bewiesen – aus den 60ern und 70ern stammen und auch die in „Flannery“ zitierte Novelle „The Violent Bear It Away“ der amerikanischen Schriftstellerin Flannery O‘Connor 1960 veröffentlicht wurde, drängt sich die Frage auf, in welchem Jahrzehnt die Stadt existiert, die auf „City Music“ besungen wird. Auch die Songtexte sind zu vage, um die Frage zu beantworten. Das ist deshalb ärgerlich, weil Morby mit der Single „I Have Been To The Mountain“ über die Ermordung Eric Garners auf dem letzten Album bewiesen hat, dass er aktuelle Themen äußerst pointiert aufgreifen kann. Unter dem Eindruck des Anschlags von Orlando veröffentlichte er im gleichen Jahr mit „Beautiful Strangers“ einen ähnlich berührenden Protestsong, der unglaublich aktuell und dringlich klingt, obwohl die Musik frappierend an den Leonard Cohen der frühen 70er erinnert.

Vielleicht scheut sich der in Kansas geborene Musiker auf „City Music“ vor solchen Themen, weil es auf seinem vierten Album nach dem überraschenden Erfolg von „Singing Saw“ etwas lockerer zugehen soll. Er selbst hat vorab die Erwartungen etwas heruntergeschraubt, indem er „City Music“ als Mixtape und als Ergänzung zu „Singing Saw“ bezeichnete. Böse Zungen könnten auch von Resteverwertung sprechen, besonders weil beispielsweise der Song „Crybaby“ ursprünglich für Morbys vorherige Band The Babies geschrieben wurde. Wenn dies tatsächlich zwölf übriggebliebene Songs sind, beweist dies aber vor allem das enorme Talent des Songwriters. Der flaniert im Song „Pearly Gates“ ziellos durch Harlem in Uptown Manhattan und fragt sich, welchen Song er wohl auf dem Weg in den Himmel summen wird. Für „Tin Can“ und „Night Time“ steigt er dann tatsächlich in die Höhe, betrachtet die Stadt aus der Vogelperspektive der Stadtplaner und Kartographen, aus der das unübersichtliche Treiben der Menschen plötlich lesbar wird. Beim Blick aus den Fenstern der 110. Etage des World Trade Centers hat Michel de Certeau New York einmal als den „maßlosesten aller menschlichen Texte“ beschrieben. Mit „City Music“ versucht Morby, diesen Text zu lesen und zu vertonen.

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