Wenige Bands haben ihr Rekonfigurations-Potential so kontinuierlich weiterentwickelt wie The New Pornographers. Vom Songwriting über den Gesang bis zur Livebesetzung facettierte sich ihr Power-Pop über sechs Alben mit reichlich Rollenver- und umverteilung, doch nach zwanzig Jahren des Bestehens stellt „Whiteout Conditions“ die Bandidentität noch tiefgreifender um: Es ist das erste Werk ohne Co-Songwriter Dan Bejar.

Steuerte der Destroyer-Kopf sonst verlässlich ein Drittel der Stücke bei, stammen diesmal alle Texte aus der Feder von Bandgründer A.C. Newman – die Vocals teilt er sich aber gewohnt mit Neko Case und Kathryn Calder. Dass Bejars Abwesenheit dabei nicht allzu schwer ins Gewicht fällt, mag zunächst überraschen, doch auf der Bühne gab es dafür schon reichlich Präzedenz: Wie Case, in deren Rolle Calder ursprünglich als temporärer Ersatz einstieg, verpasste Bejar viele Touren wegen seiner anderen Musikprojekte. Für derartige Ausfälle zu kompensieren, ist Routine geworden für eine Gruppe mit bis zu vier LeadsängerInnen und Begleitvocals von den meisten anderen Bandmitgliedern – unter anderem auch von Drummer Kurt Dahle, bis dieser nach dem letzten Album die Band verließ.

Neuzugang Joe Seiders erweist sich dafür als die stärker prägende Veränderung in der Banddynamik. Muskulös setzt er verspielt-auflockernde dynamische Akzente in „Darling Shade“, passt sich im Titelstück metronomisch insistent der Repetition des Synth-Loops an oder unterstreicht besonders die Krautigkeit von „Clock Wise“ mit Motorik-Groove. An gleicher Stelle erwähnt der Refrain augenzwinkernd ein „Valley Of Lead Singers“, nur noch mehr meta gemacht dadurch, dass in den harmonierenden Vocals tatsächlich keine Stimme alleine die Führung übernimmt. Den Hang zu verquer fantasierender Bildsprache mag er mit Bejar teilen, doch im Arrangieren mehrerer Vocals bleibt Newman distinktiv clever und kunstvoll – vor allem, aber nicht allein im Dienst der Eingängigkeit.

So verteilt sich der wortlose Refrain von „Second Sleep“ anmutig in zerhackt wirkenden Sprüngen auf wechselnde Stimmen über einem Bach aus „Hum“s und „Ham“s, während Neco Case im eröffnenden „Play Money“ lange Zeit soliert, bis die gelegentlich verfremdet akzentuierenden Begleitvocals im Denouement unverhüllt zwischen Himmel und Erde Pingpong spielen. Newmans dichter, nahezu jede Silbe füllender Reimfluss erzeugt in „Whiteout Conditions“ eine Unruhe, die sich nur noch verstärkt, wenn der glammige Refrain verfrüht beginnt, wo Calder und Case dafür in komplexerem Reimschema entspannende Freiräume erhalten. „Colosseums“, „High Ticket Attractions“, The New Pornographers legen ihre Stimmdynamik so oft über Synkopen und taktverlegte Einsätze auf die Schrägkante, dass das durchweg geradlinige „The World Of The Theatre“ daneben umso wärmer harmoniert.

Klanglich mögen sich auf diesem Album immer wieder Wolken öffnen, nur mit genauerem Betrachten kann man Newmans Worten anmerken, dass er sie nach dem Tod seiner Schwester verfasste. Deutlicher ist da noch das Depression referenzierende Titelstück, doch selbst hier hebt der synthig funkelnde Wave-Sound die Melodien über Schwermut. Eben der energetische neue Sound ist es auch, der den Verlust Bejars stark kompensiert: Belebte dieser noch das unterschätzte „Brill Bruisers“ – das beste Werk der Band seit „Twin Cinema“ – mit seinen druckvollen Rocknummern, agiert die Band diesmal durchweg mit höherer Intensität und mehr Tempo. Es ist dieser Funke, der dem ähnlich homogenen Akustikgitarren-lastigen „Together“ fehlte, er macht „Whiteout Conditions“ zum stimmigsten Werk eines Power-Pop-Prismas in Hochform.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum