Egal ob in solistischer Form oder der Hauptband, Stephin Merritt überrascht mit jedem seiner Alben aufs Neue. Zuletzt, sprich mit dem 2012 erschienenen „Love At The Bottom Of The Sea“ ein wenig ziellos und mit deutlich weniger thematischem Überbau unterwegs, erweist er nach der Liebe auf „69 Love Songs“ dem Leben seine Reverenz und nimmt sein eigenes dabei zum Beispiel. Dabei bleibt er seiner eklektischen Musikauffassung bis zum letzten der insgesamt fünfzig Kabinettstückchen treu.

Merritt fährt die „50 Song Memoir“ im großen Stil auf: Instrumente, die jedes Kinderorchester vor Neid erblassen lassen, Aufnahmevarianten, die vom minimalistischen Lo-Fi-Brummen bis hin zur fantasievollen Kabarettrevue reichen und weit geöffnete Genreschubladen von Pop, Folk und Elektro, denen er sich von jeglicher nur denkbaren Seite zu nähern scheint. Das Thema: sein Leben, in all seinen buntesten Farben und Nuancen – ohne jedoch die Schattenseiten auszusparen – in strenger chronologischer Ordnung. Irgendwo zwischen Schelmerei und Spiegelbild des Tatsächlichen finden sich dann auch die Texte wieder, die zuweilen die ganze Schrägheit eines Lebens ausmalen und je nach Jahreszahl einzelne Begebenheiten, ganze Zeitspannen oder Themenschwerpunkte behandeln. So folgen auf die hinreißend lakonischen Erinnerungen an die eigene Hauskatze Dionysus zwei Jahre später gesellschaftskritische Protestgedanken, die dem damals fünfjährigen Stephin sicherlich erst aus Erzählungen von früher so richtig ins Bewusstsein gerückt sind.

Nicht immer wird Merritt so klar in seinen Songs wie in „’99: Fathers In The Clouds“, wo er über seine Herkunft sinniert, oder im direkt darauf folgenden pianogeschwängerten Echowalzer „’00: Ghosts Of The Marathon Walzers“, der die Schwierigkeiten des Songschreibens thematisiert. Dann wieder wird er melancholisch und entwirft für das fabelhafte „’01: Have You Seen It In The Snow“ eine schmerzensschöne Melodie für ein New York nach den Ereignissen des 11. September. Es ist schwierig, den insgesamt 50 Stücken, die sich auf fünf einzelne Tonträger verteilen, einigermaßen gleichmäßig gerecht zu werden – noch schwieriger ist es allerdings, aufgrund der nahezu ausnahmslos gelungenen Stimmung zwischen kreativen Texten und dazu passender Musik Schwachpunkte auszumachen. Am ehesten fällt Merritt dann aus dem Rahmen, wenn er die Melodieseligkeit verlässt und sich wie im erfrischend kurzweilig betexteten „’06 „Quotes““ ein wenig im Experiment verliert oder sich wahlweise in der „’84: Danceteria“ oder mit dem „’97: Eurodisco Trio“ zwischen Sparks’scher Bohème und vorsätzlich albernem Eurodance zu verlieren scheint.

Vermutlich zeichnet dies auch genau das Bild auf „50 Song Memoir“ nach, das tatsächlich wie ein ungemein lebendiges Spiegelbild funktioniert und eben auch mal albern, traurig, verrückt und ernst sein darf. Dann erzählt man eben, wie man mit Hund, Katze, Käfer das WG-Leben bestritten hat – Fred, Dave und Ted natürlich nicht zu vergessen –, oder wie man sich in den Schwulenbars des Lebens abseits der Spaßtreibenden mit Songschreiben beschäftigt hat. Wie die Musik dazu klingt, ist dann zeitweilig nahezu egal, zu lebensnah erzählt Merritt, der nach den sonderbaren, nicht minder spannenden „Distortion“-Ausflügen wieder ganz der alte Crooner ist und nur selten den Verzerrer herausholt. Das macht „50 Song Memoir“ wiederum zu einem unterhaltsamen, nicht immer einfachen Bilderbuch des Lebens, dessen Sonnenseiten auch mal schräg und die Schattenpfade auch mal von Wohlklang durchzogen sein dürfen.

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