ElbowLittle Fictions

Ohne Drummer Richard Jupp, der 2016 die Band verlassen hatte, findet auf Elbows siebtem Album dennoch jede Menge Perkussives statt. Doch anstatt das ausgeschiedene Bandmitglied eins zu eins zu ersetzen, finden die Briten allerlei andere Hilfsmittel, die „Little Fictions“ trotzdem nicht an den klanglichen Rand der eigenen Diskographie treiben.

Unvermittelt geht es dann auch schon hinein. Guy Garveys Stimmfarbe, seine Diktion, seine fast lautmalerische Hingabe erobern das wunderbare „Magnificent (She Says)“, die Streicher jubilieren und schon hat man vergessen, dass Elbow nun tatsächlich ohne ihren Rhythmusgeber auskommen. Mantraartige, stetig vorantreibende Loops sorgen schon früh für eine unterschwellige Ruhe. Das pendelnde Piano in „Trust The Sun“ sorgt für das so bandimmanente Behaglichkeitsgefühl, das „Little Fictions“ zu keiner Zeit verlässt.

Waren es auf früheren Alben die weit ausgebreiteten Flächen aus in sich verzahnten Gitarrenarpeggios und Bass-Schlaufen, die im Verbund mit dem warmen Timbre des Sängers für Furore sorgten, lässt die komprimierte Anmutung des aktuellen Werks einen schnelleren und damit fast schon aufreizend einfachen Zugriff zu. „All Disco“ ist mit seiner eingängigen Melodie Paradebeispiel und Glanzlicht zugleich. Sicher, auf das erste Ohr ist es eine nach Maßstäben des bisherigen Œuvres gemessen schlichte, in weiten Teilen radiotaugliche Ballade, deren sympathische Simplizität einen raschen Wiedererkennungswert verursacht und damit das komplette Gegenstück zum raumgreifenden, sich nach allen Seiten streckenden Titelsong bildet. Gerade aufgrund seiner Überraschungsarmut fungiert es jedoch im Albumkontext wie ein Ruhepol und lässt den deutlich wagemutigeren Stücken genügend Raum zur Entfaltung.

Dem mit Piano-Ostinato eingeleiteten und zum Schluss fast im süffigen AOR-Rock badenden „Firebrand & Angel“ zum Beispiel, dem der Hintergrundchor auch noch einen Schuss britischen Soul an die Hand gibt. Auch „K2“ ist durchzogen von einer gewissen ostentativen Neigung des Sich-Wiederholens, die rhythmische Varianz geht gegen Null und das Echo tut ein Übriges. Was sich geschrieben schrecklich eintönig liest, wird in Klang gegossen zu einem weiteren Höhepunkt. Vor allem Garvey führt die Melodielinien durch engste Gassen und kürzeste Abfolgen und lässt sich dadurch vom erwähnten Echo immer mal wieder bis zur Überlagerung einholen. Diesen Spannungsmoment lösen Elbow dann aber schnell mit dem Pianostück „Montparnasse“ auf, bevor sie mit dem Titelsong mehr Register ziehen als auf allen Orgeln des Passauer Doms zusammen. Erst imitiert ein Klavier eine Art Perkussion, dann werden die musikalischen Grenzen Elbows ausgelotet und spätestens nach dem ersten stimmlichen Ausbruchs Garveys wird das erwartete und wortreich besungene Wunder zunächst dem Leben und dann der Liebe zugeschrieben – eingebettet in ein geordnetes, für die instrumentalen Verhältnisse der Band aber dennoch bemerkenswertes Chaos.

„Little Fictions“ ist nach den schwierigeren letzten Alben ein Schritt zurück in die Zeit, als die wunderbar melodiöse Welt Elbows auf „The Seldom Seen Kid“ noch in Ordnung war und Experimente in gefühlsversehrten Stimmungsbrüchen endeten. Doch dieser Schritt zurück entlockt der Band genau diese magische Erhabenheit, die man zuletzt ein Stück weit vermisst hatte.

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