SOHNRennen

Nachdem das vergangene Jahr erstaunlich viele Pop-Glanzlichter bereit hielt, ist es erfreulich, dass der ehemalige Wahlwiener und jetzt in Los Angeles lebende Christopher Taylor alias SOHN direkt für Nachschub sorgt. War das Debüt „Tremors“ ein eher ruhiger Vertreter seiner Art, lässt sich bei „Rennen“ zunächst mehr als ein schwaches Muskelzucken ausmachen.

In der Tat erinnert „Rennen“ dabei nicht selten an „Mirrorwriting“ von Jamie Woon, diesem Nachtschattenwesen, das sich seines Grooves bewusst war, aber eben dennoch eher für ein lässiges „durch die Nacht schweifen“ stand. Selbstverständlich versammelt Taylor allerdings auch Geschmacksverwandschaften zu James Blake und anderen VertreterInnen dieses angeknacksten Popgefühls und spätestens bei „Dead Wrong“ fühlt man sich auch an den Experimentalsoul Autre Ne Veuts erinnert. Der Sound auf „Rennen“ ist dabei aber längst nicht so diffus wie bei den Genreverwandten. Die so gerne in Hall und Hauch versteckten Synthieklänge dürfen hier auch schon mal knacken und knarzen, selbst das Autotune bekommt wie im skelettiert startenden „Primary“ einen Handkantenschlag und prompt erscheint wie aus dem Nichts eine nach Kraftwerk schielende Melodie, die den Geist der Vergangenheit beschwört.

Überhaupt pluckert und britzelt es auf „Rennen“ an allen Ecken und Kanten. Das kantige „Falling“ mit seinem perkussiven Beginn wird zu einem von Repetition und Reduktion getragenen Meisterwerk, ohne in seiner Wirkweise nachzulassen. Direkt danach verfremdet „Proof“ vergessene Klangtorsi als Basis für Beat und Balance bis zum arrhythmischen Höhepunkt inklusive Atempause, um daran wiederum das raumgreifende und effektversehrte „Still Waters“ in ähnlich freier Taktwahl anschließen zu lassen. Es ist sicherlich nicht verwunderlich, dass „Rennen“ mit „Harbour“ erst in Ruhe schließt, um dann den Puls noch einmal mit einem letzten Aufbegehren zu beschleunigen. Der Bruch im Stück ist allerdings schon bemerkenswert und lässt das Album am Ende ein wenig unfertig erscheinen.

So zerrissen und fragmentarisch das Werk endet, so erstaunlich zugänglich beginnt es. „Hard Liquor“ ist ein fabelhafter Tanzflächenfüller, der mit seinem falsetthaften Gesang an „Boy King“ von Wild Beasts erinnert und dessen Puls nicht selten in die Körpermitte zielt. „Conrad“ geizt ebenfalls nicht mit Bewegungsmomenten und selbst der wundervolle Future-Soul von „Signals“ zielt rhythmisch zwischen Schlafzimmer und Tanzclub. Genau da liegt auch die Eigenheit des Albums, das sich mit Erreichen der zweiten Hälfte so ein wenig zu sehr in der Klangforschung verliert und dabei den Zug zum Song verliert. Nicht dass das ohne Reiz wäre, nur lässt Taylor so ein wenig den Kontakt zum Hörer missen und dafür einzelne Momente körperlos im Raum stehen.

SOHN gelingt es – nicht ohne seine weithin erstaunliche Stimme, die sich trotz aller Fremdbestimmung nicht zügeln lassen will – ein erstes Pop-Glanzlicht des Jahres zu schaffen. „Rennen“ ist dabei allerdings längst nicht so rast- und atemlos, wie es der Titel weismachen will. Genau diese eher ruhigen Momente dürfen jedoch beim nächsten Mal gerne wieder für ein wenig mehr Atemlosigkeit sorgen.

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