EluviumFalse Readings On

Wer dem Schaffen von Matthew Cooper etwas enger folgt, kennt dessen Facetten- und Erscheinungsreichtum. Sein rauchiges Techno-Projekt Martin Eden, sein Filmsoundtrack zu „Some Days Are Better Than Others“ unter eigenem Namen, selbst die Ambientwerke seines meistbekannten Nom de Plume Eluvium auf Temporary Residence Ltd. geben nur einen unvollständigen Einblick in die Entwicklung des Amerikaners, die in „False Readings On“ einen gewissen Höhepunkt erreicht: phantomhafte Zersetzung mit grandioser Wirkung.

Diskographisch gesehen markiert das (ungefähr) achte Eluvium-Album zugleich einen Neuanfang, nachdem Cooper im Rahmen der umfangreichen, zweiteiligen Werkschau „Life Of Bombardment“ auch die experimentelleren und obskursten Teile seines Œuvre gesammelt wiederveröffentlicht hatte. Trägerinnen dieser Kompositionen sind aber weiterhin Coopers pastorale, grandios ausgedehnte Melodien, die er hier mit seinen mehr und auch weniger erfolgreichen Exkursionen in Vocal-Experimente und Drone-Pop aus diesem Jahrzehnt verbindet.

Für „False Readings On“ sampelte Cooper operatische Vintage-Aufnahmen, zerschnitt und rearrangierte diverse Gesangsteile, dass oft nicht einmal die ursprüngliche italienische Wortbedeutung auszumachen ist. Im langsam über hallenden Piano- und Synthzügen anschwellenden, meditativen „Regenerative Being“ wiederholt sich so alle paar Takte der Ansatz einer emporsteigenden Arie. Immer wieder rekurriert die identische Tonfolge, trifft an verschiedenen Punkten der Melodieentwicklung auf die Gesamtkomposition, bis schließlich die ersehnte, bislang unerreichte Höchstnote die Gesangsbemühungen komplettiert. Befremdlicher ist der Effekt im diffusen „Fugue State“. Hier mischt Cooper pitch- und frequenzverzerrte Vibratos zu einer einzelnen Phantomstimme, merkwürdig aus dem Jetzt geworfen im ohnehin diffusen, um ein gedämpftes Arpeggio oszillierenden Klangraum.

Die Ungewissheit einer Dämpfung und Verhüllung, die am Lautstärkeregler drehen und genauer hinhören lässt, verstärkt sich noch in der Albummitte. „Beyond The Moon For Someone In Reverse“ und „Movie Night Revisited“ schneidern Choräle in schimmernde Nebeltexturen, in der permanent intensiven Drone-Wallung von „Washer Logistics“ ist hingegen kaum noch festzustellen, ob darunter Menschenstimmen oder eine angelisch weiche Synthnote leise verhallen. Nicht nur hier erinnert Eluvium an sein grandioses Drone-Pop-Werk „Static Nocturne“, ein einzelnes 50-minütiges Stück, aus dessen Rauschen sich immer wieder Melodien herausschälten und wieder abtauchten. Den Gipfel des Drone-Genusses erreicht nämlich die abschließende, mit 17 Minuten bei weitem längste Komposition „Posturing Through Metaphysical Collapse“.

Dort erzeugt Eluvium einen loopenden Traumzustand aus Stimmenmeer und wattigen, ausgedehnten Harmonien, alles über einer zentralen Gitarrenmelodie, deren glasige Anschläge vom Rand einer Klippe abzugleiten scheinen. So graduell und geduldig, dass es irgendwann schon fast unmerklich ist, nimmt der Bassanteil zu und ein sägender Faservorhang legt sich über das Stück, bis selbst die Melodien grelle, metallene Noise-Qualitäten annehmen. Der Unterschied, vor allem in der Lautstärke, zwischen Beginn- und Endteil ist immens und vollzieht sich dennoch mit einer unvermeidbaren, anmutigen Konsequenz. Es demonstriert, wie wichtig Zeit und ihr Vergang für Eluviums Musik ist: Ob man sie momentweise optimistisch oder bedrückend, verträumt oder angespannt empfindet, ihre Wirkung im Ganzen kann allumfassend anmuten.

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