NgaiireBlastoma

Es dauert knapp zwei Minuten, bis sich das volle Stimmpotential von Ngaire Joseph abzeichnet. Auf ihrem zweiten Album als Ngaiire bleibt es oft nur angedeutet, wie das angekratzte Soulraunen im Hintergrund des eröffnenden „Anchor“, doch das ist kein Verlust: Behutsame Temperierung ist die große, sublime Popkunst der in Sydney wohnenden Frau aus Papua-Neuguinea.

Songs wie „Once“ belohnen die Aufmerksamkeit, die man ihnen widmet, mit einer umfassenden Stimmung. Die Strophen etablieren einen nebulösen, ausgesparten Dämmerungspuls für Ngaiires kühles Moll, die das besondere Erlebnis ruhig zelebriert und das letzte Wort von „We shake our bodies til we go insane/ action is sweet and electric/ We die repeate-te-tedly“ bedeutungskräftig auseinanderzieht. Im Refrain gleitet sie ebenso in harmonische Wärme wie die glimmenden Synth-Züge, sogar der Beat selbst ist emotional gefärbt mit melodisch-atmosphärischem Nachhall zwischen Kick und Snare. Überhaupt sind Ngaiires Songs strukturell oft schon wie gemacht für eine Dance-Version – für „Diggin“ mit seinem schnell gleitenden Gesang müsste man lediglich den 2-Step der Perkussion etwas druckvoller hervorheben.

Selbst um die 100 BPM lädt „I Can’t Hear God Anymore“ aber nicht zum Tanzen ein. Es ist ein Song, bei dem man verstummt und üerhaupt kein Gräusch mehr von sich zu geben wagt, so sehr zieht es in seinen Bann, dass man unwillkürlich nur noch mit glasigem Blick in die Ferne schaut. Subtil blendet ein unterliegendes Rauschen ein und wieder aus, minimal ändern sich die Lautstärke und das Arrangement fast unbemerkt, während Ngaiires wieder an Angekratztheit zunehmende Stimme den Verlust einer besonderen Beziehung lamentiert. So wie hier die einzelnen Stücke durch melodische Variation, Lautstärken-, Kompositions- und auch Tempoänderungen dezent mutieren, balanciert auch „Blastoma“ als Album verschiedene Dynamiken aus.

Gerade wenn man sich so im Midtempo festgesetzt zu haben glaubt, folgt so der satte Wums- und Klackerbeat von „Many Things“ auf „I Can’t Hear God Anymore“. Besonders originell setzt „House On A Rock“ auf dicke Bassoszillation und zersetzte Synthschübe ein rhythmisch komplexes Geflecht aus Holzklackern, pumpender Kickdrum, einem vereinzelten Pianoanschlag und blechernem Topfschlagen. Allein mit dem Wandern einer tickenden Perkussion signalisiert der elegante R’n’B-Groove von „I Wear Black“ den Stimmungsumschwung und Übergang zum letzten Refrain, ein dräuender Synthbass im Vordergrund von “Cruel” gibt dem weichen Keyboardspiel ebenso Wahrhaftigkeit wie trocken nachhallende Snares. Solche Effekte hängen mehr auf den Instrumenten als Ngaiires Stimme – die kann einzelne Silben schließlich melismatisch selbst strecken.

„Who would have thought that loving you would be so cruel“, intoniert sie im Duett mit Co-Produzent Jack Grace, trotz des verträumten Dreitonmotivs blickt Ngaiire auch hier auf Schmerzen der Vergangenheit zurück. Der Krebstumor, an dem sie in ihrer Kindheit litt, gibt “Blastoma” seinen Titel, im Artwork hat Ngaiire noch einmal die Effekte der Chemotherapie visuell rekreiert. Statt einer erneut schmerzhaften Konfrontation ist der Gesamteffekt ihres Albums aber einer der Beruhigung, wenn nicht sogar Erholung und Ermutigung. Ganz zum Ende lässt sie ihre Stimme auch einmal ganz befreit heraushängen, im natürlichen Raumecho des gospelhaften Finale wiederholt sie mit dem Zirpen eines Stubenvogels im Hintergrund immer wieder nur die Worte majestäisch anmutender Empathie: „Fall into my arms/ when you feel“.

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