KAYTRANADA99.9%

Es darf alles ein bisschen daneben sein: Die Kickdrum hinkt dem Basslauf um ein paar Millisekunden verschleppt hinterher, das glimmende Keyboard legt eine bitone Grundierung vor, darüber schweifen Synthesizer in Form schwummeriger Wolken und sirenenartigen Dauerpiepens umher. Dies und manch anderes balanciert Louis Kevin Celestin in „ONE TOO MANY“ zu einem jener gleichermaßen mitreißenden und warm umarmenden Beatwunder aus, mit denen er sich in den vergangenen Jahren als KAYTRANADA zu einem der angesagtesten Produzenten zwischen Rap und R’n’B hochackerte.

Wie schon viele andere vor ihm begnügt sich der Kanadier, der anfangs über Remixe und Samples von R’n’B-Klassikern zum Soundcloud-Star wurde, aber nicht mit der “Produced by”-Erwähnung auf den Werken anderer. „99.9%“ ist sein Debütalbum und wirft dabei einmal mehr die Frage auf, wie und ob sich ein Solowerk distinguieren kann, wenn man sich vor allem mit den Stimmen anderer einen Namen gemacht hat. Die erste Möglichkeit dafür ist das rein instrumentale Album, wie es vor allem ein größeres Gesamtkonzept, einen distinktiven Stil oder ausdrucksvolle Melodische begünstigt. Gleichwohl misslingt solch ein Versuch fast so oft wie Option zwei, das gefürchtete Selbersingen, das so viele stimmlich mäßig begabte Produktionen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben lässt.

Celestin hingegen hat sich für Option drei entschieden, die zugleich die beste für jemanden in seiner Newcomer-Position ist: Aus der Menge etablierter VokalistInnen, mit denen er bereits zusammengearbeitet hat, versammelt er nebst ein paar neuen Namen eine talentierte Gastriege, die zugleich nicht droht, ihn selbst zu überschatten. Die meisten davon sind gleichermaßen stilistische Grenzgänger wie KAYTRANADA selbst: Zwischen Dance und Rap beheimatet (GoldLink, Vic Mensa), zwischen Soul, Pop und Dance (Aluna Francis, Craig David) oder zwischen R’n’B und Rap (Anderson .Paak, Syd von The Internet). Gleichwohl ist die Rollenverteilung nicht immer wie erwartet, wenn Syd in „YOU’RE THE ONE“ über housigen Funk gleitet oder Francis sich mit GoldLink in der sonnengebleichten Disco von „TOGETHER“ trifft.

Erwartungsgemäß spielt „GLOWED UP“ hingegen ganz die Kratzstimmenstärke von .Paak aus – schließlich entstand der Song während der Aufnahmen zu „Malibu„, bis KAYTRANADA ihn sich fürs eigene Album reservierte. Ähnlich geben „WEIGHT OFF“ und „BULLETS“ erste Ausblicke auf seine umfassenderen Kollaborationen mit BADBADNOTGOOD und Little Dragon. Solche organische Zusammenarbeit passt auch auf die Lockerheit von KAYTRANADAs Grooves, die letztlich das wichtigste Bindeglied von „99.9%“ sind: Ohne eine Atempause zu gönnen, sind die Stücke mehr wie ein soundästhetisch homogener Mix aneinandergereiht, für den die Reise wichtiger als das Ziel oder die Rast an einzelnen Stationen ist.

In seiner Stilbreite über Funk, Disco, Rap, Jazz und R’n’B kann KAYTRANADA sowas auch abziehen, allein die einstündige Länge überdehnt das Kein-Konzept-Konzept ein wenig. Der große Flow versickert jedoch nie, denn die Lässigkeit des Grooves ist trügerisch: Die bassigen Anschläge sind in ihrer Tiefe und allen darumstehenden Knister-, Knack- oder feuchten Klatschgeräuschen akribisch ausgeformt, dass sie nicht nur funktional das Ohr überall entlangführen und den Körper bewegen, sondern so stolz hervorprangen, als könne man in ihnen die eigentliche Stimme des Produzenten ausmachen.

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