AUFTOUREN 2015 – Das Jahr in Tönen


40

FKA twigs

M3LL155X EP

[Young Turks / XL / Beggars ]

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Tahliah Barnett treibt nicht nur das Gesamtkunstwerk FKA twigs auf der Bühne und in Videoform weiter, sie beweist erneut, wie viel Ausdruckskraft sich in weniger als 20 Minuten Musik stecken lässt. Ihre diesjährige EP streckt sich sogar weiter als ihr Debütalbum, geht bassiger in die Tiefen, lässt die Drum-Pads nervös rumzucken oder verdichtet sich in kathartisch-industrieller Verzerrung, um dann wieder in sinnliche Schwebezustände zurückzupendeln. Auf „M3LL155X“ sind Eros und Thanatos immer in Sichtweite voneinander. (Uli Eulenbruch)


39

Roomful Of Teeth

Render

[New Amsterdam]

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Auch wenn das New Yorker Label schon länger existiert, hatte New Amsterdam Records ein wahres Durchbruchsjahr. Während die Werke von Missy Mazzoli und Sarah Kirkland Snider letztlich die Einzelvisionen ihrer Komponistinnen ausdrückten, ist das zweite Album des Vocal-Ensembles Roomful Of Teeth wohl die beste Verkörperung des Gemeinschaftsgeistes in der jungen Klassikszene. Von unterschiedlichen KomponistInnen (unter anderem Mazzoli) entworfen, ist „Render“ fantasievolle Stimmenmusik, die das Oktett zu minimaler Perkussion oder meist, wie im flatternden „High Done No Why“ und dem schwelend-ehrfurchtgebietenden „Beneath“, zutiefst eindringlich rein a cappella ausbreitet – mit effektvoller Dronemusik, der sie gelegentlich ähnelt, kann die Bündelung dieser resonanten Gesangsorgane allemal mithalten. (Uli Eulenbruch)


38

DJ Koze

DJ-Kicks

[!K7]

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Spätestens in den letzten Sekunden von Boards Of Canadas Remix zu „Dead Dogs Two“ von cLOUDDEAD, wenn nicht eh schon nach Betrachten des Covers, wird klar: Dies ist der Nachfolger für Sgt. Peppers. Oder so ähnlich. Wieder Sommer, nur nicht 67, sondern 15. In Wirklichkeit handelt es sich freilich um ein derart liebevoll zusammengestelltes Mixtape, das selbst in unnötig schwülen und stressigen Tagen für Schweben und Augenzwinkern sorgt. Von Freddie Gibbs & Madlib bis Portables „Surrender“ (der Übersong auf dieser Compilation!) findet DJ Koze einen beachtlich nachvollziehbaren Weg, der selbst einen William Shatner nicht ausschließt. Passt alles nicht zusammen? Und ob! (Pascal Weiß)


37

Beach Slang

The Things We Do To Find People Who Feel Like Us

[Big Scary Monsters ]

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Letztes Jahr noch (Doppel-)Gewinner in unserer „Geheimen Beute“ und dieses Jahr nicht mal eine Rezension! Asche auf unser – nein, mein Haupt, lag die Aufgabe doch in meinen Händen. Glücklicherweise hat „The Things We Do To Find People Who Feel Like Us“ intern genug LiebhaberInnen gefunden, um es in unsere Jahrescharts zu schaffen und soll noch eine Würdigung zu erfahren. Diese haben Beach Slang nämlich verdient: Ihr Debütalbum ist ein mitreißendes Stück Rockmusik mit streckenweise entwaffnenden Texten, die Zeilen enthalten wie „The punks are wired and these records feel tough. It’s loud and wild, but, I swear, it feels soft.“ Ich glaube, diesen Umstand hat jeder schon mal ähnlich erlebt. Musik die man liebt, fühlt sich einfach „weich“ an, egal wie krass sie auch sein mag oder wie Außenstehende sie wahrnehmen. Die Musik von Beach Slang ist nicht krass, sondern einfach nur mitreißend und ich wage zu behaupten, dass sie damit vor ein paar Jahren steil durch die Decke gegangen wären. (Mark-Oliver Schröder)


36

Lower Dens

Escape From Evil

[Domino]

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Lower Dens sind eine jener Bands, für die das Spiel mit Klangwirkungen mindestens so wichtig ist wie das Songwriting. Ihr drittes Album betört mit vielen magischen Tonmomenten wie dem brodelnden Donnern im Hintergrund von „Electric Current“, dem Kontrast zwischen gleißender Synthlinie und raumeinnehmend voluminösem Bass von „Company“ oder
dem zugratternden Fade-In von „To Die In L.A.“, das aber letzlich noch mehr mit seinem schmerzhaft hymnischen Refrain-Aufschwung besticht. Wo Lower Dens‘ Melodien zuvor schon mal etwas unterentwickelt wirkten, sind sie wie auch die emotional fiebrige Stimme Jana Hunters mit der experimentierlustigen Produktion denkwürdig mitgewachsen. (Uli Eulenbruch)


35

Father John Misty

I Love You, Honeybear

[Sub Pop]

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Bei dem, was Josh Tillman alias Father John Misty bisher solo angepackt hatte, machte sich nicht selten das Gefühl bemerkbar, dass das gewisse Etwas fehlte. Gutes Handwerk, aber vielleicht doch etwas zu verbissen. „I Love You, Honeybear“ änderte diesen Status schlagartig. Mit sperrangelweit geöffneten Armen empfängt der Father seine Gemeinde und lässt die Welt an seinem sonnigen Gemüt teilhaben. Die Geschichten sprudeln nur so aus ihm heraus und seine beschwingte Interpretation von Barock-Pop ringt auch nachdenklichen Momenten – die sich gerade zum Ende des Albums hin häufen – noch ein Lächeln ab. Mit Stringenz und Unbeirrbarkeit stellt sich Tillman gegen den grauen Zeitgeist und gewinnt haushoch. (Felix Lammert-Siepmann)


34

Rangleklods 

Straitjacket

[Tambourhinoceros ]

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Die Zwangsjacke aus dem Titel ist definitiv nicht auf Rangleklods‘ Musik bezogen. Vielmehr deklinieren sich Esben Nørskov Andersen und Pernille Smith-Sivertsen kreuz und quer durch die zeitgenössische, elektronische Popmusik und biegen dabei mal Richtung Ambient-Dubstep à la Sekuoia oder Giraffage oder Trap, mal zu Prodigy-eskem Electro-Rock und dann wieder zu Caribou ab. Allen Songs voran stehen die erste Single „Lost U“, mit einem unfassbaren eingängigen Refrain, und „Broke“, das zum Post-R’n’B schielt und sich alle paar Takte neuerfindet. Rangleklods waren 2015 vielseitiger denn je und so up-to-date wie nur irgendwas. (Benedict Weskott)


33

Chelsea Wolfe 

Abyss 

[Sargent House ]

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In die tiefsten Tiefen begibt sich Chelsea Wolfe auf ihrem bisher wuchtigsten Album. Allein schon die mahlenden Maschinenmotive gleich zu Beginn erschüttern durch Mark und Bein und laden trotzdem dazu ein, der Sängerin in ihr dunkles Reich zu folgen. Auf berstende Stimmbandakrobatik folgt grollender Donner, auch vor subtiler, angsterzeugender Stille macht Wolfe nicht halt und lässt zum Beispiel auch in diesen ruhigen Momenten des zwiespältigen „Iron Moon“ keine Rast zu. Dann wieder schwingt sie sich als Königin der Nachtschatten empor und beherrscht mit ungeheurer Energie diese bleischwarze Unterweltsymphonie. Stetiges Pulsieren, drängendes Wabern: „Abyss“ inszeniert sich als organisches Konstrukt an der Schwelle zum Artifiziellen. (Carl Ackfeld)


32

Deerhunter

Fading Frontier

[4ad / Beggars]

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Bradford Cox lässt nicht nur im Albumtitel die Grenzen verschwinden, auch die neun neuen Stücke auf „Fading Frontiers“ wirken erfrischend grenzbefreit und reichen vom bittersüßen Pop bis hin zu unbeschwertem bis bedrückendem Indie-Rock, der sich im herausragenden „Breaker“ anschmiegsam und süffig wie selten präsentiert. Doch Cox kann auch anders und so gesellen sich angefunkter Primal-Scream-Psychpop, verrückt entrückte Nachtständchen und intime Nabelschauen hinzu, die dem Frontmann nicht nur in der Single „Snakeskin“ sichtbar alles abverlangen. Deerhunter sind auf das erste oder zweite Ohr nicht mehr so überragend wie bei ihrem Opus Magnum „Halcyon Digest“, doch reichen auf „Fading Frontiers“ nur wenige, aber umso prägnantere Momente, um sich erneut in der ersten AUFTOUREN-Liga zu halten. (Carl Ackfeld)


31

Oneohtrix Point Never

Garden Of Delete

[Warp]

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Nachdem die letzten Alben bereits wegbereitende Streiflichter zwischen intelligenter Elektronik und raumgreifenden Dronesplittern waren, scheint „Garden Of Delete“ aufgrund seiner Vielseitigkeit in einem deutlich zugänglicheren Licht. Sicher hat Daniel Lopatin auf seinem nunmehr siebten Soloalbum hier einen Pseudo-Pop-Ansatz gefunden, der von stilistischen Sprüngen in aller Herren Genres gekennzeichnet ist. Sicher könnte das zu einem chaotischen Wirrwarr werden und die zufällig aufblitzenden Einfälle sang- und klanglos verpuffen, ohne Wirkung zu erzielen. Doch „Garden Of Delete“ bezieht genau hieraus seine Sogwirkung, schließlich ertappt man sich dabei, jeder Idee zu folgen und erreicht spätestens bei der scheinheiligen Gitarrenfigur im gänzlich aus dem Ruder laufenden „Lift“ den Zustand kompletter Glückseligkeit. (Carl Ackfeld)


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Ein Kommentar zu “AUFTOUREN 2015 – Das Jahr in Tönen”

  1. e. sagt:

    sehr interessant bislang.

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