Abgesehen von einzelnen ambitionierten Versuchen im Folk oder bei Klangflächenmusikern wie Áine O’Dwyer spielt die (Kirchen-)Orgel nicht nur aufgrund ihrer mangelnden Handlichkeit eine eher untergeordnete Rolle. Anna von Hausswolff erschafft mit ihrem Lieblingsinstrument seit nunmehr drei Alben turmhohe Klangkathedralen, die von Mal zu Mal finsterer werden.

„The Miraculous“ ist ein Monolith, ein Album, das sich kaum in seinen einzelnen Teilen erfassen lässt. Zu sehr verdichtet die Musikerin ihre Stücke zu einem großen Ganzen, dessen Stücke zwar in ihrer Ausgestaltung durchaus deutlich unterscheidbar sind, jedoch liegen ihnen allen Schwermut, Drang und eine gewisse obskure Mystik zu Grunde. Sicher ist die zumeist tieftönend genutzte Orgel hier der Hauptprotagonist, aber vielseitig wie nie lässt von Hausswolff auch ihrer Stimme und ihrer Begleitband jede Menge Raum.

Diesen Raum brauchen die meisten Stücke auf „The Miraculous“ auch, entfalten sie sich doch mitunter über acht oder mehr Minuten. Ist das nicht der Fall, dann überraschen sie mit wuchtiger Präsenz, mysteriösem Klangspektrum oder verbogenen Melodiefragmenten. Vieles auf „The Miraculous“ passiert dabei – wie bereits auf „Ceremony“ – im Instrumentalen, lässt die Schwedin doch vor allem die langen Stücke erst einmal ausreichend Luft in den Orgelpfeifen bringen, um dann mit epischen Drones den Raum zu füllen. Das funktioniert außergewöhnlich gut im schweren, gravitätischen Titelstück, das erst nach der Hälfte die ersten leisen Echostimmen zu Tage bringt, während sich einzelne Akkorde nur Millimeter voneinander entfernt aufeinander zu und wieder weg bewegen. Doch auch der dunkle Bordunton zu Beginn des eröffnenden „Discovery“ verheißt schweres Geschütz; kein Wunder, nutzt von Hausswolff doch für ihre Komposition das Meisterstück der Orgelbaukunst im 21. Jahrhundert, die Woehl-Orgel des Studios Acustiucm in Piteå, die mit ihren 9000 Pfeifen eine wahrhaft majestätische Basis bedeutet.

Von Hausswolff bewegt sich immer dann auf sicherem Terrain, wenn ihr Hauptinstrument im Vordergrund steht. So ist das zentrale „Come Wander With Me/Deliverance“ zunächst an nokturner Strahlkraft kaum zu überbieten, doch verwandelt sich der Koloss beginnend mit den barschen Metalriffs der Begleitband in einen alles verschlingenden Moloch, der zwischendurch kaum noch Zeit zum Luftholen hat. Aber keine Regel ohne Ausnahme, denn schließlich gehören das ätherisch-flehende „Evocation“ und das fast schon aufreizend konventionelle „The Stranger“ zu den interessantesten, weil zugänglichsten Kompositionen auf „The Miraculous“.

Es ist kein komplett neuer Aufbruch, auch wenn es uns das anfangs nach vorn schreitende „Discovery“ durchaus weismachen könnte. Vielmehr intensiviert die Schwedin die Bemühungen, ihre Orgelklänge so kontrovers wie möglich, aber eben auch so zugänglich wie nötig in Songs zu betten. Das sie dabei zuweilen die Lust am Querschlag übertreibt, ist kein Vorwurf, lässt aber noch Luft nach oben zu. Beim in diesem Jahr bereits vielerorts bemühten Vergleich mit der anderen Königin der Nacht, Chelsea Wolfe, steht sie dann doch unerwartet deutlich zurück, aber eigentlich stellt sich solch eine Bewährungsprobe ja eher in den kommenden dunklen Tagen. Und für Schwärze ist auf „The Miraculous“ zur Genüge gesorgt.

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