Wenn John Darnielle persönlich wird, bekommen die ohnehin schon anspruchsvollen und mit zahlreichen literarischen Anspielungen gespickten Texte seiner inzwischen deutlicher ausformulierten Songs eine ganz andere Qualität. Zuletzt wurde das auf seinem inzwischen vor über 10 Jahren veröffentlichten „The Sunset Tree“ augenscheinlich, welches starken Bezug auf seine unmittelbaren familiären Kindheitserlebnisse Bezug nahm. „Beat The Champ“ erzählt eher von der Faszination, sich in eine Fantasiewelt zu flüchten – ohne dabei die Realität aus den Augen zu verlieren.

Es mag ein wenig verwunderlich klingen, dass ausgerechnet ein Konzeptalbum über amerikanisches Profi-Wrestling viel mit Kindheitserlebnissen zu tun hat, und doch entwickelt sich „Beat The Champ“ zu einer mit Erinnerungen nachkolorierten Revue voller Anekdoten und Befindlichkeiten. Bereits auf den vorangegangenen Alben zeigte Darnielle erheblich mehr musikalische Vielfalt, ohne darüber seine lyrischen Stärken zu vernachlässigen. Nahezu sämtliche Aggregatzustände und Lebensformen hielten Einzug, so ist es schon ein wenig verwunderlich, dass „Beat The Champ“ mit einem eher gegenständlichen Thema spielt und sogar reale Helden einbezieht.

Vielleicht sind es daher die schwierigen familiären Verhältnisse, die Darnielle auf der Suche nach Stärke und Halt bei den grellbunten und den starken Mann markierenden Profiwrestlern landen lässt. Dass er jetzt ihre Geschichte(n) nachzeichnet und so ein wenig Aufstieg und Fall einer in europäischen Augen seltsamen Parallelwelt skizziert, ist weniger Intention denn übergeordnetes Konstrukt, geht es ihm doch auch darum, Blickwinkel auf schwer erreichbare innere Zustände und die damit verbundene Vergänglichkeit an sich darzustellen.

Wie schon auf „Transcendental Youth“ erweitert Darnielle seine Songs um instrumentale Facetten. Zwar spielt er diese immer noch im Duktus seiner früheren Lo-Fi- und Fuzz-Folksongs, doch haben wie schon häufiger zuvor Streicher, Bläser und Tasteninstrumente erheblichen Anteil an der auch auf dem Cover hervorgehobenen Farbigkeit des Albums. Beginnt „Southwest Territory“ mit akzentuierter Pianomelancholie und dunklen Holzbläsern, beordert Darnielle seine Zuhörer unter das Hallendach, um dem Spektakel, das zwischen Freud und Leid vagabundiert, beizuwohnen.

Er lässt wenig aus, huldigt echten Legenden wie Chavo Guerrero, der für Ihn ein wahrhaftiges Idol war und und kann es kaum aushalten, wenn er in Zwangslagen gerät. „Foreign Object“ swingt mit jazzigem Saxophon durch den Ring und strotzt vor Vitalität, die er spätestens im wilden „Werewolf Gimmick“ zu einer neuen waghalsigen Qualität führt. In fast allen Songs wird Darnielle auf „Beat The Champ“ bildhaft, geradezu fotorealistisch, wenn er die farbenprächtigen Masken der Kämpfer beschreibt, die Umstände zum mysteriösen Tod/Mord an Bruiser Brody darlegt („Stabbed To Death Outside San Juan“) oder in „Unmasked!“ den Hut nimmt und sein eigenes Gesicht zeigt, ohne Schminke, fast wieder in schwarz und weiß und trotzdem kämpferisch bleibt: „I will reveal you.“.

John Darnielle baut mit „Beat The Champ“ weiter an seinem Denkmal, nicht nur der fleißigste, sondern auch der qualitativ herausragendste Songwriter beziehungsweise Erzähler seiner Zeit zu sein. Seine Geschichten zielen nie direkt, aber trotzdem mit Wucht in das eigene Bewusstsein und bringen zum Nachdenken, so dass man darüber fast die auch dieses Mal ausgezeichnete Musik vergisst. Wem Text reicht, für den hält Darnielle seinen ersten Roman „Wolf In White Van“ bereit, doch ist es vor allem die unwiderstehliche Kombination aus Text, Ton und Erfahrung, die das Erleben vollständig macht.

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