Matthew E. White ist vielleicht so etwas wie der Musiker der Stunde. Erst holt er mit seinem Spacebomb Ensemble den disneyfizierten Soul aus dem Kinderzimmer, damit Natalie Prass die schönsten und traurigsten Wohlfühllieder seit Menschengedenken singt, dann greift er selbst an und erstaunt auf „Fresh Blood“ mit einer sanften, sehr weich austarierten Musikauffassung, die trotz allen Kuschelfaktors sehr wohl ihre Ecken und Kanten hat. Mit viel Liebe zum Detail übertrifft er dabei sein nicht immer ganz ausgereiftes Debüt „Big Inner“ um Längen.

Ausgehend davon, dass man White gar nicht übersehen kann – zu stattlich kommt er mit erheblicher Körpergröße, langen dunklen Haaren und deutlichem Bartwuchs daher -, scheint es wie so oft diese eine Initialzündung zu sein, die einen Musiker erst so recht in der Aufmerksamkeitsspirale nach oben schubst. Sicher, wenn man zunächst einer ziemlich avantgardistischen Jazzcombo namens Fight The Big Bull vorsteht oder Mitglied der ebenso verspulten wie hörenswerten Psychband The Great White Jenkins war, sorgt das nicht zwingend für Schlagzeilen. „Big Inner“, sein Debüt als Solist, schlug dagegen durchaus hohe Wellen und so schien ein neues Werk durchaus mit einer gewissen Erwartungshaltung verknüpft.

Schon die ersten Takte „Take Care Of My Baby“ erfüllen aber bereits diese Begehrlichkeiten in jeglicher Hinsicht, greift White zu Zutaten, die zwar nicht immer leicht verdaulich, aber doch sehr bekömmlich sind. Er mischt zu diesem Zweck so eine Art Soul an, dessen Körperlichkeit sich aber komplett in den emotionalen Befindlichkeiten zwischen Text und Musik aufzulösen scheint. Mit weicher, aber nicht leidender Stimme erzählt er, wie er loslässt und in den Arm nimmt, wie er sich sorgt und leidet, aber auch wie er scharf und realitätsnah beobachtet. „Tranquility“ als Ode an den verstorbenen Phillip Seymour Hofman entwickelt sich durch scharf gesetzte Jazzakkorde zu einer feierlichen Angelegenheit, die tröstend Geleit gibt, ohne in Kitsch oder Eitelkeit abzudriften.

Musikalisch ist auf „Fresh Blood“ vieles in weiche und fließende Atmosphäre gebettet. Man merkt dem Musiker dabei sowohl seine Jazzvergangenheit als auch seine Zusammenarbeit mit Künstlern wie Sharon Van Etten und The Mountain Goats an. Er erzählt wortreich und mit geistreicher Verve über Kompositionen, die vielschichtig sind, aber dennoch eingängig bleiben. Die Steigerungsmomente in „Feeling Good Is Good Enough“ oder auch das beschließende „Love Is Deep“ mit seinen verschachtelten Chören und Bläsersätzen zeugen hier von ungeheuer tiefem Verständnis der Beziehung von Text und Ton.

White schafft es auf „Fresh Blood“, ein einzigartiges Gefühl von Eleganz und Grandezza zu vereinen, das nur manchmal durchbrochen wird. Wie wenn im fulminanten „Rock’n Roll Is Cold“ das Tempo anzieht und die federnden „gospel licks“ ins Zwiegespräch mit dem tänzelnden „Uhlala“-Chor einsteigen, oder das erhabene „Holy Moly“ seine ernste Thematik erst nur mit wenigen Klavierakkorden andeutet, um es dann in einer feierlichen Anklage zu Ende zu bringen.

„Fresh Blood“ ist eines dieser Alben, die mit jedem Hördurchgang wachsen. Nach dem ersten Mal bliebt nur wenig hängen, und doch erzielt es die Bereitschaft, ihm einen zweiten Turn zu geben. Das hat es mit seinem Kreateur gemeinsam, der sich auch erst ins musikalische Bewußtsein arbeiten musste. Doch da wird er jetzt mit solch einem Album lange verankert bleiben.

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