Charli XCXSUCKER

Es gibt sicher schlimmere Gründe, die eigene Solokarriere hintenanstellen zu müssen als einen unerwarteten Doppelerfolg als Songwriterin für andere Popstars. Im einen Sommer verhalf „I Love It“ Icona Pop zum Ruhm, im nächsten „Fancy“ Iggy Azalea, auf beiden kann man ihre Co-Komponistin Charlotte Aitchison mit der ihr so eigenen Vehemenz shouten hören. Mit ihrem zweiten Longplayer tritt Charli XCX nicht gerade aufs Bremspedal, der pausenlose Antrieb scheint ihr aber auch zu liegen – die gelegentliche Verzögerung führte nur dazu, dass sie mit „SUCKER“ nun vier Alben und Mixtapes innerhalb von drei Jahren veröffentlicht hat.

Wo der Vorgänger „True Romance“ noch zu sehr auf den Zeitgeist schielte („You (Ha Ha Ha)“ war wenig mehr als Gold Pandas „You“ mit Vocals überlegt), ist die Osmose beeinflussender Stile und Soundästhetiken in Charli XCXs jubilantem Pop-Rock zur Nebensache geworden, wenn auch nicht uninteressant. Mit dem Titelstück setzt „SUCKER“ von Beginn an auf Krawall, wirft von bratzenden Gitarren und jubilanten „Whoos“ umzirkelt wenig mehr als ein satt-lauthalsiges „Fuck you, sucker“ zum Refrain heraus. Die Stones-Referenz in „Die Tonight“ ist denn so programmatisch wie die „I Love Rock’n’Roll“-Drums in „Hanging Around“, „Body Of My Own“ trommelt sich zu schmalen Akkorden zwar mehr in Richtung des zahnlosen britischen Lad-Rocks aus dem vergangenen Jahrzehnt, proklamiert aber zunehmend fiebrig die Vorzüge der Masturbation wenn „You’re so damn cold/ You got no feeling/ I want my blood hotter/ Not satisfied“.

„Girls Just Want To Have Fun“, Ramonbes oder Madonnas sexuelle Revolution braucht Charli XCX nicht explizit in Erinnerung zu rufen, es ist deutlich, in was für Traditionen ihr Riot-Pop sich in Missachtung diverser Konsequenzen sein Vergnügen selbst sucht. Sie könnte es aber sicherlich, denn dass sich die Britin der Geschichte und Regeln der Popmusik bewusst ist, scheint immer wieder durch. So führt der Aufbau über Neonsynth-Crescendo und fordernde Claps in „Break The Rules“ eben nicht zum klimatischen Drop diverser Großhallen-Monsterbeats, sondern in einen schelmischen „nanana“-Refrain – der große melodische Hook liegt regelbrechend eben nicht hier, sondern im vorhergehenden Aufbauteil. Und was soll ein Song namens „Boom Clap“ wohl sonst als Beat haben wenn nicht den, der im Titel vorgegeben ist – der Kniff daran sind jedoch sind das leise Pochen und gelegentliche Tickern, die dem Stück im Hintergrund einen schnelleren Antrieb verleihen als der große Bummklatsch.

Neben ihren direktesten Songs hat Charli XCX hier auch einen markanten Sound umgesetzt, der über Detailwitze hinaus (das „Wank“-Sample im linken und die Sirene im rechten Stereokanal bei „London Queen“) eine aufwieglerisch irritierende Wirkung erreicht. Vocals springen von der Mitte eines wolkig-gedämpfen Klangraums weit nach vorne, „Need Your Luv“ fährt Helium-Vocals zu kaputtem Casio-Geklimper auf und „Gold Coins“ eine gigantische Kickdrum zu ebenso übersteuert zerfetzten Vocals und Gitarren. Anders als bei der ehemaligen Tourbegleitung Sleigh Bells, die für Letzteres sicher als Inspiration dienten, machen das sonische Verzerrspiel und die gellenden Höhen „SUCKER“ nicht erschöpfend, denn ein ausgeformtes Bassvolumen hält das Ganze so energetisch wie intendiert. Manche dieser Brummwellen könnte bei entsprechender Lautstärke sicher auch Bäume umröhren, aber wie sagt doch das alte Sprichwort: Wo gejubelt wird, da fallen Späne.

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