Sozialkritischer Rap strikes back? „Jede Zerstörung hat einen progressiven Kern“, rappte vor kurzem die Antilopen Gang und genau dieser Satz passt wie die Faust auf Eimer in Bezug auf das Buback-Debüt von Zugezogen Maskulin, das die rosa Brille absetzt und ebenfalls sehr darauf bedacht ist, Rap als gesellschaftsobservantes Medium zu re-etablieren. „Progressiv“ bedeutet in Hinsicht auf das Projekt der beiden MCs Testo (der ein wenig wie Harris klingt, nur mit weniger Chillfaktor) und grim104, die sogar schon mit Thees Uhlmann und Krafklub auf Tour waren: bedrohliche Synthieflächen, Trap und aggressive als auch provokante Lyrics, die gegen faschistoide Verhaltenstendenzen, Sarrazin-Paradigma und ignorante Flüchtlingspolitik im Zentrum Berlins ballern.

Trotz ähnlicher Themenschwerpunkte ist „Alles Brennt“ auf Albumlänge vom Soundbild deutlich düsterer geraten als „Aversion“ von der Antilopen Gang. Vor allem der Rap-Stil präsentiert sich stringent aggressiv: Hendrik Bolz und Moritz Wilken biten, was das Zeug hält, in jeder Punchline spürt man die Abneigung gegen die eigene Generation, deren Großteil Zugezogen Maskulin unüberhörbar als apolitisch und opportunistisch empfinden. Der Feind heißt hier häufig „Hipster“ – das ist in einigen Zeilen ein wenig flach geraten, diverse Zeilen sogar arg gewollt. Doch dann sind da diese bitterbösen Reime, die mehr Witz und Intelligenz beherbergen als alle Veröffentlichungen der einzelnen Beginner in den letzten Jahren zusammengenommen, ihnen gelingt größtenteils das unterhaltsame Ventilieren der Wut im Bauch.

Mit dem Schutzschild Ironie und viel unterschwelligem Hass heißt es dann etwa: „Oranienplatz, eingezäunt und bewacht/ alles von meinem Steuergeld, Danke Frank, gut gemacht/ Gekommen aus dem schönen Sudan/ Sonne lacht, Völkermord, Hütten stehen in Flammen/ Während ich mich schneide beim Rasieren/ wird bei dir nur ’n Bisschen massakriert/ […]Kauf ich Schuhe von Nike oder Adidas?/ Deutsche Fragen quälen mich, während du ne schöne Bootsfahrt hast“. Damit kommentiert das Duo die mehr als geschmackskonfuse Aktion von zwei Junge-Union-Mitgliedern, die mit einem „Danke, Frank“-Schild (gemeint war der verantwortliche Innensenator Henkel) nach der Auflösung eines Flüchtlingscamps im Zentrum Berlins posierten.

Gleichzeitig wissen Zugezogen Maskulin, dass sie dieser Welt, die angeprangert wird, doch keine heile entgegensetzen können. Wetten, dass noch kein Rapper es hierzulande geschafft hat, ein Adornozitat und Master P (der Prototyp in Sachen Angeber-Rap und frühere Snoop-Dogg-Produzent) in einen Satz zu bringen? „Ich grinse wie Master P, zeige meine Zähne stolz/ denn sie sind nicht länger gelb, jetzt sind sie gold/ Ich trinke nur Coca Cola, Gewerkschafterblut/ es gibt nichts Richtiges im Falschen, deswegen schmeckts mir auch so gut.“ Dechiffrieren kann man auf „Alles Brennt“ eine Menge, Querverweise sind alles andere als rar gesät. Nur selten wird die Zynismusmaske hinter all den Helium- und Darth-Vader-Voice-Tunes und dem Nebel mal abgelegt: „Mein Herz spür ich nur nach einer Überdosis Amphetamin/ Hippies tanzen, lachen durch die Wälder, ich mach kaputt, was mich kaputt macht“ – und nach dem Ton-Steine-Scherben-Zitat dann der leise geflüsterte Zusatz „Mich selber“ in „Grauweisser Rauch“, das wegen seiner Klavier-Einspieler am Ende neben dem persönlichen Schlusslicht der Platte noch als das musikalisch gediegenste Stück neben den restlichen Bombast-Arrangements zählen könnte.

Es ist bei Weitem nicht alles perfekt an dieser Platte. Doch wenn sich die Sprechgesangskultur hierzulande durch „Alles Brennt“ motiviert fühlt, sich wieder ein wenig mehr Subversion auf das Nike-Shirt zu schreiben – beziehungsweise wenigstens weiß, was das Wort bedeuten könnte – ist schon eine Menge erreicht. Zugezogen Maskulin erfüllen Kriterien, die es braucht, um die Szene ein wenig umzukrempeln. Sie erinnern daran, dass guter Rap eine gewisse Destruktivität einnehmen kann und sich keineswegs darin erschöpfen muss, in die Airs zu schlüpfen und den Ipod anzumachen.

Ein Kommentar zu “Zugezogen Maskulin – Alles Brennt”

  1. „Oranienplatz“ ist ein Knaller. Ansonsten bremst Testo Grim ein wenig aus. Dennoch: Ein richtig gutes Album. Und „Oi“ als Reaktion auf „Troy“ von den Fanta4…Bombe! :D

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum