Joey Bada$$B4.DA.$$

Die HipHop-Kultur ist in ihrem Innersten von einem tiefen Widerspruch geprägt. Einerseits scheint es kein wichtigeres Gut als die Originalität zu geben und daher auch keine größere Todsünde als das Stehlen von Reimen oder gar das Biten fremder Flows. Andererseits war HipHop stets eine Kultur, die Samples und (musikalische) Zitate nutzte, um die Vergangenheit zu feiern, eine kulturelle Identität zu schaffen und das verwendete Material so in einen neuen Kontext zu setzen. Kaum ein MC repräsentiert diesen Widerspruch so deutlich wie Jo-Vaughn Virginie Scott alias Joey Bada$$.

Denn selbstverständlich hält er sich für den besten, originellsten und skrupellosesten Rapper (sein Künstlername lautet nicht umsonst Bada$$) und degradiert seine Konkurrenz zu einem Heer von Nachahmern: „Some niggas bitin‘ flows yo, that’s burglary.“ Doch auf der anderen Seite zollt er mit seinen beiden Mixtapes „1999“ und „Summer Knights“ einer ganz bestimmten Ära des Ostküsten-Raps – nämlich vor allem jene der zweiten Hälfte der 90er – und seinen musikalischen Vorbildern und Helden Tribut, weshalb ihm Kritiker häufig Retromanie und damit fehlende Originalität vorwerfen. Auch das 17 Songs starke „B4.DA.$$“ bildet da keine Ausnahme und man könnte vermutlich Tage damit verbringen, alle Zitate und Anspielungen auf die goldenen Jahre des BoomBap-Raps zu finden und aufzulisten.

„Piece Of Mind“ erinnert nicht nur dank des Konzepts an Nas‘ „One Love“, da beide Rapper mit ihrem Song einen inhaftierten Freund auf den neuesten Stand bringen, sondern leiht sich gleich noch eine komplette Zeile aus dem Klassiker: „Out in New York the same shit is goin‘ on.“ „Paper Trail$“ thematisiert Joeys Erfolge der letzten Jahre sowie die negativen Aspekte dieses Ruhms und variiert eine der bekanntesten Zeilen des Wu-Tang Clans: „Cash ruined everything around me.“ Die großartige Single „No. 99“ verwendet dasselbe Drum-Sample aus „Little Miss Lover“ von Jimi Hendrix, das in „Scenario“ von A Tribe Called Quest und Busta Rhymes zu hören ist, „Belly Of The Beast“ zitiert Notorious B.I.G.s „Gimme The Loot“ und „Like Me“ basiert auf einem bisher unveröffentlichten Instrumental von J Dilla, das von The Roots leicht überarbeitet wurde.

Doch Joey Bada$$ interessiert sich auf „B4.DA.$$“ nicht nur für die Vergangenheit des New Yorker HipHops, auch seine eigenen karibischen Wurzeln – seine Eltern wurden in St. Lucia und Jamaika geboren – spielen auf seinem Album eine deutlich wichtigere Rolle als bei den vorangegangenen Mixtapes. Zu „Belly Of The Beast“ steuert der jamaikanische Reggae-Sänger Chronixx die Hook und eine Strophe bei und im Refrain zu „No. 99“ verwendet Joey den jamaikanischen Ausdruck „badmon“ statt seines Künstlernamens. Ansonsten finden sich auf der Feature- und Produzenten-Liste die Namen der üblichen Verdächtigen: DJ Premier, Statik Selektah, Lee Bannon sowie die ProEra-Kollegen Kirk Knight und Chuck Strangers. Für Überraschungen sorgen lediglich Hippie-Rapper Raury, der mit seiner ultraschnellen Strophe zu „Escape 120“ den André-3000-Ähnlichkeitswettbewerb gewinnt, und Kiesza, die den Bonussong „Teach Me“ tatsächlich in einen tanzbaren Radiohit verwandelt.

Doch wer Überraschungen oder Innovation sucht, ist bei Joey Bada$$ fehl am Platz. Dafür hat sich der Zwanzigjährige im Vergleich zu „Summer Knights“ erneut gesteigert, sein Flow klingt vielfältiger und abwechslungsreicher, seine Texte geizen nicht mit Wortspielen und Kreativität. Vor allem aber zeigt sich Joey auf „B4.DA.$$“ von einer sehr persönlichen Seite, wenn er im rührenden „Curry Chicken“ seiner alleinerziehenden Mutter für die Unterstützung dankt, in „Black Beetles“ über ein fantastisches Instrumental von Chuck Strangers mit seinen Selbstzweifeln kämpft oder im jazzigen Song „O.C.B.“ den „only child blues“ anstimmt. Wer das dann immer noch einen leblosen Abklatsch nennt, hat vermutlich kein Herz.

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