AUFTOUREN 2014Geheime Beute

AUFTOUREN 2014 - Geheime Beute

Greg Ashley – Another Generation Of Slaves [Trouble In Mind]

Natürlich gibt es Singer/Songwriter wie Sand am Meer und sicherlich könnten wir die Geheime Beute ohne große Schwierigkeiten auch mit den dreißig geheimsten und besten ihrer Zunft füllen. Dass hier nun Greg Ashley gelandet ist, liegt an seinem hervorragenden vierten Album, das irgendwo zwischen knurrigem Psychoblues à la Lee Hazlewood, sonnigen Twee-Pop-Duetten und poetisch angejazztem Honkytonk-Americana hin und her pendelt. Die Texte sind persönlich und doch irgendwie universellen Themen gewidmet: „Sex Is still the easisest conversation, drinking is the only preparation“. Das ist nicht nett und scheint furchtbar zynisch, doch trotzdem so erfrischend lebensnah wie auf kaum einem anderen Songwriteralbum. Alle, denen das letzte Cohen-Werk ein wenig zu altersmilde geraten ist, dürfen hier bedenkenlos zugreifen. (Carl Ackfeld)


Black Bananas – Electric Brick Wall [Drag City]

Jennifer Herrema war noch nie ein Kind von Traurigkeit, doch „Electric Brick Wall“ dürfte eines ihrer buntesten Alben überhaupt geworden sein. Die offensive Produktion springt nicht nur direkt ins Gesicht, sondern kratzt einem direkt im Anschluss die Augen aus. Treibend und gespickt mit überwuchernden Synthies, die sich tatsächlich zu einer Mauer auswachsen, kommt das Album über weite Strecken extrem tanzbar daher, was dem Grundkorsett vieler Songs – Glam und AOR mit einem Schuss R’n‘B – wahlweise haarsträubend ungeordnet entgegensteht oder wundersam geschmeidig als Ergänzung dient. Am Ende entfalten beide Varianten ihre Wirkung und „Electric Brick Wall“ wird ein eindrucksvoll inhomogenes und glitzerndes Gesamtwerk. (Felix Lammert-Siepmann)


Mick Jenkins – The Water[s] [Cinematic Music Group / Free Nation]

Letztes Jahr veröffentlichten mit Chance The Rapper und Vic Mensa zwei junge MCs aus Chicago hervorragende Mixtapes, dieses Jahr führt Mick Jenkins diese Tradition fort. Wobei „The Water[s]“ – im Gegensatz zum überdrehten und quietschbunten „Acid Rap“ der beiden Kollegen – mit seinen jazzigen, häufig fast meditativen Songs eher unauffällig daherkommt. Im Vordergrund stehen stets Jenkins‘ Texte, die er mit tiefer, sonorer Stimme und ruhigem Flow vorträgt und die sich vordergründig alle um die namensgebende Flüssigkeit drehen. Tatsächlich nutzt Jenkins diese Wasser-Metaphorik aber, um über Themen wie Wahrheit, Wissen, Erkenntnis und essentielle Bedürfnisse zu sinnieren. Nur im finalen „Jerome“ verliert er einmal seine abgeklärte, fast stoische Gelassenheit und sorgt so zusammen mit einem streitlustigen Joey Bada$$ für einen überraschend aggressiven Abschluss des Mixtapes. (Daniel Welsch)


Silver Servants – Silver Servants [Second Language]

Silver Servants sind eine Art Supergroup, deren Mitglieder allerdings zumeist nur ausgewiesenen Psych-, Folk- und Post-Irgendwas-Kennern etwas sagen. Ihr Debütalbum, das in mehreren Sessions seit 2010 nahezu komplett improvisiert und auf Labeleinladung eingespielt wurde, könnte nun also aufgrund der vielfältigen Genrereferenzen ein ziemliches Kraut und Rüben geworden sein – doch weit gefehlt. Vor allem in ihrer Geschlossenheit und ihrem Einfallsreichtum lassen die Songs wenige Wünsche offen, verbindet doch schon allein das tolle „Jerusalem“ Sehnsuchtstrompete, Bossa Nova und Elfenstimme zu einem glitzernden Popmelodram. So ist „Silver Servants“ ein herrliches, zwischen grau und sepia oszillierendes barockes Folk-Panorama, das seinesgleichen sucht. (Carl Ackfeld)


Dark Times – Give [Sheep Chase]

Ich kann mir nur vorstellen, dass Dark Times ihre Drehregler für Lautstärke und Gain mit Klebeband und einem Merkzettel „Niemals von höchster Stufe runterstellen!!!“ arretiert haben. Grundsätzlich scheppert und röhrt es auf „Give“, aber hallo, mit angezogenem Tempo, doch wuchtet das Osloer Powertrio nicht vorrangig im Namen der Drei-Akkord-Aggression. In ihrem Noiserock überwiegt der Drang zur Melodie und Wehmut wie im resigniert gesungenen „Never Know“, „Feel It“ plädiert flehentlich, aber auch lauthalsiger „Don’t leave me now/ be here forever/ I want no one else but you“. Und falls einen das tatsächlich kalt lassen kann, wird man im Anschluss dann wieder von einer 75-sekündigen Riffwalze geplättet. (Uli Eulenbruch)


Sd Laika – That’s Harakiri [Tri Angle]

Bei Tri Angle Records wird häufig dekonstruiert. SD Laika beherrscht dieses Lust an der Fragmentisierung aktuell wie kaum ein anderer, er zerklüftet einzelne Sounds nicht nur, er zerfleischt sie, nagt ihnen sämtliche Fasern von den Knochen. Diese bersten wiederum wie Maschinengewehrsalven in tausend Stücke und in alle Richtungen. Es ist eine kleine höllische Nachtmusik, die der Produzent aus Milwaukee auf „It’s Harakiri“ veranstaltet, eine wahre Metall-Maschinen-Musik, die den Wohlklang mal für eine gute halbe Stunde über Bord geworfen hat. Sich darauf einzulassen fordert zwar ungemein, dennoch ist es faszinierend, zwischen den zerrissenen Grime-, Trap- und Noise-Einflüssen dieses eine verlorene Quäntchen Melodie, wie zum Beispiel das köstlich zerschossene Piano in „You Were Wrong“, zu finden. (Carl Ackfeld)


Joan Shelley – Electric Ursa [No Quarter]

Joan Shelleys Musik bricht nicht unbedingt mit ihren Countrywurzeln, ist ihnen aber auch nicht blind verhaftet. Wie der luftige Beach-House-Refrain von „First Of August“ erklingen auch Streicher und Harmonium bevorzugt in leichter Echo-Distanz, sogar Shelleys Stimme selbst ist nicht immer hervorstehend ganz nah ans Ohr abgemischt und taucht mal in andere Sphären hoch – ohne ganz die Bodenhaltung zu verlieren. Ebenso wirken die Ansätze und Perspektiven ihrer Songs traditionell, wenn sie damit beginnt, von einem jungen Mann zu erzählen, doch sagt sie lieber zuviel als zuwenig – oder auch mal gar nichts im durchzupften „Remedios“. Achtmal macht sie das über eine fesselnde halbe Stunde auf „Electric Ursa“ und wenn ihr irgendwo die richtigen Leute dabei zugehört haben, ist sie bald hoffentlich da, wo Angel Olsen und Shavon Van Etten jetzt sind. (Uli Eulenbruch)


Wireheads – The Late Great Wireheads [Format]

„The Late Great Wireheads“ ist nicht nur eine Anspielung an Townes van Zandt, sondern in erster Linie eine Zusammenstellung von Stücken aus den vergangenen Jahren, aus einer bestimmten Ära dieser Band um Dom Trimboli. Eines der wesentlichen Merkmale der Songs – und schon das dürfte selbst für eine Rockband aus Adelaide mindestens ungewöhnlich sein – ist neben der verruchten Stimme und Gitarre Trimbolis vor allem ein weiteres zentrales Musikinstrument auf diesem Album: die Violine! Wie das klingt? Nicht zuletzt für das Stühle umschmeißende  „Slippery“ müsste man ihnen dringend das Glas aus der Hand reißen, bevor klar wird, dass es in dieser Kaschemme keinen Winkel mehr gibt, in dem man sicher sein will. Einfach rein ins Getümmel.  (Pascal Weiß)


Especia – Gusto [Tsubasa]

Nachdem über die letzten Jahre die hippen Nischenproduktionen des Vaporwave oder auch unlängst PC Music die Weichheit, Buntheit und Imperfektionen japanischer Popmusik für ein neues Publikum als frisch präsentierten, scheint eine Spießumdrehung nur fair. So machen Especia auf ihrem Debüt tatsächlich charttauglichen Vaporwave-Pop, der sich visuell bei vorgefertigt-zusammengewürfelten Post-Internet-Ästhetiken bedient, auf musikalischer Ebene upgraden sie vor allem den japanischen City Pop der 80er, der wiederum ausgiebig von diversen Vaporwave-Produktionen umverpackt worden war. Aber diesen Zickzack der kulturellen Aneignung muss man zum Glück gar nicht erst zu durchblicken versuchen, um reichlich Gefallen an „Gusto“ zu finden: Deutlich über Karaoke-Niveau, doch mehr auf Lebhaftigkeit denn Perfektion ausgelegt sind die Vocals der umso glatter-geschmeidigeren Disco/Funk/Jazz/Soul-Hybride, die ohne Scheu vor professionell furiosen Saxophon-Soli und kantigen Synth-Extremitäten übersommerlich dahingrooven. Hauptsache, dass dabei auch die Melodien abwechselnd cool und uncool sind. (Uli Eulenbruch)


Klara Lewis – Ett [Editions Mego]

Willkommen in der Schemenwelt: Auf ihrem Debütalbum wie auch der nachfolgend industrielleren „Msuic“-EP zieht die Britin durch atemberaubend tiefe Echohöhlen, die auf den ersten Blick an Düstertechno von Andy Stott oder Blackest Ever Black erinnern können, aber wenig bis gar nicht auf Beat und Rhythmus bedacht sind – jedenfalls nicht rhythmische Anschläge. Hier dampft es, da trapst es, dort schabt und blubbert es unheilvoll metallisch – doch nicht der mögliche Beunruhigungseffekt steht der Musik der Britin voran. Hört man sie, erscheint es wider jedes besseren Wissens plausibel, dass man sich irgendwannn einmal tatsächlich an einem jener Orte befinden und sie auditiv derart wahrnehmen würde. Da passt es, dass die Licht/Schatten-Balance deutlich zur letzteren Seite überhängt – wo man wenig sieht, muss man sich eben auch am meisten auf andere Sinne verlassen. (Uli Eulenbruch)

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2 Kommentare zu “AUFTOUREN 2014 – Geheime Beute”

  1. Carl Ackfeld sagt:

    Wow, ist die Ian William Craig toll! Wo hattest du die denn in deiner Vorauswahl versteckt, Uli?

  2. Zur Zeit der Vorauswahl war die noch in meiner „Platten, die ich allmählich wirklich mal gehört haben sollte“-Liste.

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