Der Liedschatten (133): Unlieb mit Dieb

The Sweet: „Block Buster!“, Februar 1973 – April 1973

Weihnachtszeit, Budenzauber, Advent und Bescherung, Wunschzettel gleich zum Nikolaus, Ruten und Kohlen, Knecht Ruprecht, ein Bischof, das Christkind oder der Weihnachtsmann… Was für ein Glück, dass sich diese Reihe selten um saisonale Besonderheiten schert.

Gut, es wäre gelogen, wenn nach dieser Einleitung behauptet würde, das Weihnachtsfest ließe sich nicht irgendwie unterbringen. Möglich wäre es… schauen wir mal, mhm, durch den Gegensatz: „Vorfreude und Spannung in der Weihnachtszeit <–> die Musik der Gruppe The Sweet“. Oder: „Alle Jahre wieder, zumindest in den Folgen der Jahre 1972 – 1974, ho, ho, begegnen wir der britischen Band The Sweet im Liedschatten“ – das wäre ein Bezug zu Weihnachten, wenn wir ihn denn wollen würden. Vielleicht auch: „Versteht man unter Weihnachten ein gut kalkulierbares Geschäft, dann ähnelt es der Art von Musik, die The Sweet bisher veröffentlichten.“ Das wäre zwar nicht elegant, nichts davon wäre elegant, aber möglich. Doch lassen sich nicht ebenso zwischen einem Möhreneintopf und Weihnachten Bezüge herstellen, wenn man es nur arg genug darauf anlegt? Mit Sicherheit, bloß hilft uns die Bejahung dieser Frage nicht dabei, die heutige Folge hinter uns zu bringen. The Sweet, ach. Also los.

Keinesfalls waren die Hits der bisherigen 1970er ausschließlich langweilig, mitnichten. Led Zeppelin, Simon & Garfunkel, Black Sabbath, George Harrison, von mir aus auch CCR und vor allem T. Rex waren mehr als passabel. Und zwischendrin fanden sich in schöner Regelmäßigkeit Kuriositäten ein, die zwar selten als gute Songs gelten konnten, aber immerhin nicht so gleichförmig wie die #1-Hits von The Sweet klangen, auf die ich mich, ho-ho, so sehr wie über einen Besuch irgendeiner „weihnachtlichen“ Innenstadt freue. Nicht elegant, ich weiß.

Co-Co“, „Little Willy“ und „Wig-Wam Bam“, so heißen sie, nur drei Stücke waren’s bisher, keines mehr, dennoch habe ich sie über. In meiner Erinnerung treten sie mir als ein einziger überlanger, nichtssagender Bubblegum-Pop-Song drögen Charakters gegenüber, ohne Substanz, viel zu breit ausgewalzt. Weshalb sollte ich mich auf ihre ihre vierte #1 namens „Block Buster!“ freuen? Ich befürchte Kuhglocken und ferne Gestade, mittendrin blasse, aber penetrante Charaktere.

Oh, ein drittes Bein! Was wäre nicht albern an einem dritten Bein, einer Pickelhaube und einem Oberlippenbärtchen? Ist das Fasching, ist es Glam oder eine ähnliche, wenn auch verspieltere Art der Provokation, wie sie später Sid Vicious wiederholte?

sweet_blockWenn sie die zeitgemäße Mode der androgyn geschminkten Männer ins Karnevaleske treiben, lässt sich The Sweet oder Menschen aus ihrem beruflichem Umfeld Kalkül unterstellen. Nicht sie selbst als Gruppe, auch nicht ihre Musik, sondern ihre Outfits sind erwartbar ungewöhnlich und dem Vorhaben angepasst, Glamrock aufzuführen. Das Erscheinungsbild der Sex Pistols mag nicht weniger absichtsvoll gewählt worden sein, aber es war neuartig und machte sie in Verbindung mit Musik und Texten beunruhigend unberechenbar. Frühe Punks hatten ebenso wie die meisten künstlerisch prägenden Vertreter des Glamrock den Vorteil, die damalige Bühnen- mit der wirklichen Person durch den Vortrag eigenen Materials identisch erscheinen lassen zu können. Marc Bolan hatte nicht nur Glitzer im Gesicht, er sang auch dementsprechende Texte, Bowie trug nicht irritierende Klamotten, er war selbst irritierend, weil er die Kleidung auswählte, die er trug.

Auf eine plumpe Art orientierten sich The Sweet an ihm und Bolan. Sie zehrten aber nicht nur von deren Popularität, sondern machten Glam wiederum populärer. Ob sie dabei eher Darsteller von Glamrock-Künstlern als eben solche waren, dürfte damals vollkommen zu Recht niemanden interessiert haben: Nicht fehlende Authentizität sollte stören, sondern mittelmäßige Songs. Soundtechnische Entwicklungen werden bei The Sweet nicht als Stilelemente, sondern dem Status Quo entsprechend genutzt und ihre Texte bedienen klassische Schlagerklischees auf lieblose Weise. Selbst bewegende Liebeslieder wiederholen manchmal nicht mehr als Phrasen, die allerdings noch mehr Reiz als die plumpen Charakterskizzen der The-Sweet-Hits besitzen können. Das Autorenduo Nicky Chinn und Mike Chapman, von denen die Gruppe versorgt wurde, scheiterte daran, Klischees eine Geschichte zu geben. Da tanzt der feurige Tänzer eben einfach feurig oder ein Nachtschwärmer schwärmt des Nachts, und dabei bleibt es.

„Block Buster!“ widmet sich mit einem passend härternm Sound nun einem Schwerenöter oder Verbrecher. Zu solide schaukelndem Boogie-Rock mit allerlei Gimmicks, Chören, Gitarreneffekten und einer illustrierenden Sirene wird von einem Übeltäter namens Buster gesungen, der „blocked“, also gehindert oder eingesperrt werden soll („Block Buster!“). Als Dieb von Frauen, denn „He’ll steal your woman out from under your nose“, wie auch immer das gehen mag, bevorzugt er schwarzhaarige Damen („you better watch out if you’ve got long black hair“), deren Gegenwehr nicht einmal verneint wird, und perfekte Verbrechen, niemand wird seiner habhaft. Obwohl er also dunkelmähnige Damen unter den Augen ihrer Lieben stiehlt und somit leicht zu locken sein dürfte, weiß niemand aus, noch ein: „We just haven’t got a clue what to do/ does anyone know the way, there’s got to be a way/ to Block Buster“, fragt eine parodistisch feminine Schreckgestalt. Welcher es sein könnte, erfahren wir nicht, wir wissen aber schon genügend, um die Geschichte recht plump und reizlos zu finden. Vielleicht hätten sich die Autoren nicht nur in musikalischer Hinsicht an David Bowie halten sollten.

 

In der nächsten Folge: The Les Humphries Singers mit „Mama Loo“

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