Nights To Remember (II): Geheimtipps aus dem australischen Untergrund

Nicht nur einmal haben wir in den vergangenen Jahren über die Feinheiten berichtet, die in Australien jenseits von festivalkompatibler Musik gedeihen. Dabei erfolgt dieser Blick oft nur über die Distanz: Kaum ein anderer Ort macht die Anreise nach Amerika und Europa gleichermaßen teuer, selten berichten einschlägige Musikmagazine über Bands wie Scott & Charlene’s Wedding, Twerps oder Total Control, bevor diese ihre Musik auf US-Labels veröffentlichen oder in den USA eine Tourpräsenz auf die Beine gestellt kriegen.

Zumindest das Melbourner Label Bedroom Suck hat sich über eine Partnerschaft zum britischen Fire Records in den letzten Monaten nicht nur dazu angeschickt, die ansonsten recht teuer zu importierenden Alben direkt nach Europa zu bringen, sondern mit Blank Realm oder Ela Stiles auch die MusikerInnen selbst zu Liveauftritten. Über deren Alben haben wir in den vergangenen Monaten ebenso berichtet wie über die von You Beauty, Woods Of Desolation, Lower Plenty, Total Control, The Murlocs und anderen, von denen garantiert auch mehr als eines nochmal zum Jahresende ordentlich Auftouren-Lob einheimsen wird, doch wie immer sind noch mehr unter den Tisch gefallen. Damit sie da nicht bleiben, wollen wir an dieser Stelle wieder einen kleinen Steifzug durchs Dickicht des australischen Untergrunds unternehmen.

M.O.B. – M.O.B. (R.I.P Society)

Der bietet zwar weiterhin, vor allem im Spektrum von slackerigem Jangle bis souligem Garage-Punk, viel im Format der Rockband, gegen Ende letzten Jahres machte sich aber beispielsweise auf Bedroom Suck der Einzug von Solo oder Duo-Projekten mit stärkerem elektronischen Klangbild bemerkbar. Den Sechssaiter lassen M.O.B. aus Sydney – der Vollständigkeit halber: Al Haddock von Raw Prawn und Yuta Matsamura von Oily Boys – zwar nicht beiseite, doch gibt er nur metallen krächzende Einwürfe in ihre Höllenvisionen. Hilflos muss man mitanhören, wie sich das eröffnende „Dante (F.T.P)“ unter massiv nachhallendem Maschinendrum-Stampfen und bassig brodelnder Synthoszillation ausbreitet, dass man sich in die Rolle eines Lovecraft-Protagonisten versetzt sieht. Wie in panischer Flucht vor dem Unheil, das hinter ihm rumort, wirft „City Circle“ grellhohe Töne nach vorne, fast schon verständlich sind hier die barschen Vocal-Einwürfe, die anderswo zum röhrenden Phantom verzerrt werden. Genau erfassen können muss man sie nicht, denn M.O.B. beschreiben das Grauen nicht, sie evozieren es in bemessen langsamem Tempo flüssig vorantreibend, so dass es wie in “Endtimes” keinen Unterschied macht, wenn keine Stimme zu Hören ist: Deren Launigkeit drückt bereits die Musik aus.

Rat Columns – Leaf (R.I.P Society)

Wohl keine andere US-Stadt hat so eine häufige Verbindung zur australischen Indieszene wie San Francisco, immer wieder findet man vor allem Bands aus Melbourne und Brisbane mit Mitgliedern, die dorthin übergesiedelt sind. David West gründete sein Janglepop-Projekt Rat Columns so erst, nachdem er von Perth nach Kalifornien gezogen war, lebt aber mittlerweile in Melbourne, wo er auch als Teil von Total Control an deren meisterlichem „Typical System“ mitwirkte. Noch in San Francisco nahm er mit Produzent Kelley Stoltz das zweite Rat-Columns-Album „Leaf“ auf, das fast schon unpassend im stets etwas angerauten Labelkatalog von R.I.P. Society dasteht: Unter erhellendem Synth-Schein haben die Songs den rhythmischen Drive, das fetzig-verzahnte Janglegitarren-Doppel und vor allem die höchst eingängigen Melodien, um auch als recht amerikanisches Produkt durchzugehen – bis dann diese blassen Vocals kraftlos einsetzen. Auch ohne wattigen Hallsound wird ein Aufbäumen wie in „Pink Mist“ so wattig weich, als als hätte wer aus die Luft rausgelassen, wenn die Songs ihren Gesang mitschleppen müssen, der mit seinem Noncharisma glatt wieder charismatisch wird – und traumhaft zarte Instrumentalpassagen wie in „Sixteen“ damit bestens komplementiert.

Low Life – Dogging (R.I.P Society)

Das dritte Album in der Runde, die R.I.P Society im Juni auf einen Schlag losließ, ist zugleich das beste und am schwersten beschreibbare. Irgendwie PiL-postpunkig ziehen Low Life in „Dream” abstrus verschichtetes Gitarrenwetzen über kaum auszumachend dumpfem Beat auf, drücken in „Speed Ball” dann aber fluchend und vollbrünstig aufs Verzerrerpedal. Statt Machismo klingt im hübsch verquollenen „M.E“ aber eine gewisse Wehmut durch, wie auch wenn „Friends” anklagt: „All my friends, they’re fucking scum. Jaded and bitter and faded and twisted“. „Dogging“ stinkt, von seinen dreckigen Tapeten bröckeln Schimmel und Schmutz und wahrscheinlich weiss es selbst nicht so recht, was es mit sich anfangen soll. Gehört zu werden, das verdient es aber.

King Gizzard & The Lizard Wizard – Oddments (Flightless/Remote Control)

King Gizzard & The Lizard Wizard behaupten, sie lebten in der Zukunft. Dieser Glaube ist so fest verankert, dass sie letztens für kurze Zeit alle bisherigen Alben zum Nulltarif als Download bereitstellten. Klingt doch logisch, oder? Fest steht: Wer sich der insgesamt siebenköpfigen Truppe ansonsten mit Logik nähert, könnte genauso gut versuchen, eine Erklärung dafür zu finden, warum Löw bei einer WM mehr Schalker als Dortmunder auflaufen lässt. „Oddments“ ist King Gizzards nunmehr viertes Album aus den letzten 18 Monaten. Manch einer in der Band wie Kenny Smith fühlt sich bei solch schleppender Abfolge allerdings gänzlich unterfordert und benötigt Nebenprojekte wie The Murlocs, um halbwegs ausgelastet zu sein. Der Spaghetti-Western von „Eyes Like The Sky“ ist inzwischen in ziemlich weite Ferne gerückt, auch der ausufernde 60er-Psychedelic-Fuzz von „Float Along – Fill Your Lungs“ verschiebt sich ein wenig: Nicht nur, weil die Garage Jams auf „Oddments“ nicht mehr 16 Minuten, sondern nur noch 16 Sekunden („ABABcd.“) andauern. Acid-Trips wie „Work This Time“ erinnern am ehesten an das (mancherorts womöglich unterschätzte) Unknown Mortal Orchestra, Feelgood-Songs wie „Sleepwalker“ an MGMTs „Congratulations“. Vielfalt ist hier der Trumpf – und der Song des Albums, „It’s Got Old“, folgerichtig eine lässige Präriehymne. Wie es jetzt weiter geht? Gute Frage. Wirklich in Geduld üben müssen wir uns dabei aber nicht, denn die Band hat bereits die beiden nächsten Alben für dieses Jahr angekündigt. Wurde aber auch Zeit.

Harmony – Carpetbombing (Poison City)

Dass Ex-mclusky-Bassist Jon Chapple mal in einer Band wie Harmony landen würde, obendrein noch auf der anderen Seite der Erde, hätte man sich vor einem Jahrzehnt eher nicht so leicht vorstellen können. Ähnlich wie später Dave Longstreths Dirty Projectors zieht auch das Melbourner Sextett die enorme Wirkungskraft seiner sehr eigenen Bluesrock-Vision aus einem Sängerinnentrio, das in Kontrast zu oder eben in Einheit mit Tom Lyngcolns schäbigem Bellen steht. In atmosphärisch dichtem, nach innen gewendetem Brodeln und Schwelen erinnert ihr zweites Album immer mal wieder an Low, doch Harmony halten es mit der Reduktion selten lange aus. Kaum ist „Pulse“ vorbei, fahren in „Cold Storage“ blechernes Tremolo und verschlepptes Schlagzeugrumpeln auf, die sich zur Songmitte in ein Meer aus Stimmen und Scheppern ergießen. „Carpetbombing“ legt nahe, dass Musik sich nicht am besten heiser jaulend den Pein aus der Seele schreit und auch nicht am besten in voluminöser Klarheit, sondern dass beide Ausdrucksweisen gleichermaßen anmutig und menschlich und erschüttert sind und zusammen mindestens genauso kathartisch.

NUN – NUN (Avant! / Aarght)

Wie eng der australische Untergrund gestrickt ist, lässt sich nicht nur mittlerweile in einem Buch nachlesen („Noise In My Head: The Ugly Australian Underground“ von Jimi Kritzler (White Hex)), sondern zeigt sich auch in den teils abstrusen Querverbindungen. So ist es in Melbourne keine große Überraschung, wenn ein Tom Hardisty zugleich in einer jangligen Indiepop-Band und bei den Industrial-Synthpunks NUN mitwirkt, deren gleichnamiges Debüt er obendrein auch produzierte. Das Quartett findet unterschiedliche Angriffsvektoren für seine unbequemlichen Soundwellen, die desolaten Bilder in Jenny Branagans kaputten Texten winden sich mit ihrem gurgelnd verfremdetem Gesang durch eine Klangpalette zwischen noisigem Zischeln, unheilvollem Vibrieren und nörgeligem Orgeln. Und doch haben NUN ein Händchen für durchaus eingängiges Songwriting, so wird nach verkrachtem Anfang „Subway“ fast schon fröhlich mit Hoffnungsfragezeichen. Charakteristischer für dieses Album ist aber „Cronenberg“, das den Highway ins Nirgendwo mit Vollgas runter reitet oder aber das finale „In Blood“ in Architektur einer Synthutopie, deren Anstich jedoch zutiefst dystopisch ist.

Full Ugly – Spent The Afternoon (Bedroom Suck)

Full Ugly lassen sich mehr Zeit als die meisten anderen. Ihr Debüt nahm die Band um Nathan Burgess bereits 2011 auf, seitdem zog Gitarrist Michael Caterer nach Brooklyn, veröffentlichte dort als Mitglied von Scott & Charlene’s Wedding ein Album und debütierte auch mit seinem eigenen Bandprojekt Shorts, noch bevor „Spent The Afternoon“ das Licht der Welt erblickte. Es passt aber auch zu einem Album, das sich in Songs wie „Mt Barker“, „Hanging Around“ oder „No Plans“ mit emotionalem Bleigewicht am Bein dahinschleppt. Clevererweise haben sich die Melbourner die flotteren – wobei „flott“ wirklich ein relativer Begriff ist – Songs für die zweite Hälfte des Albums aufgehoben, so dass ihm selbst bei den gemütlichsten Hooks nie ganz die Puste ausgeht. Ein Hoch auf das Flanieren!

Ruined Fortune – Ruined Fortune (HoZac)

Über das, was Garagerock-Multitaskering Angela Garrick allein in den letzten 12 Monaten auf die Beine gestellt hat, ließe sich locker eine eigene Kolumne machen, dabei steht unter anderem das glammige neue Projekt mit ihrem ehemaligen Circle-Pit-Partner Jack Mannix sogar noch aus. Bis zum letztjährigen Soloalbum „Turning“ war ihre Hauptband wohl am ehesten Ruined Fortune aus Sydney: Anders als Straight Arrows, die kürzlich auf dem exzellenten „R I S I N G“ unter Kommando von Owen Penglis eher geradlinigen Schrammelkurs hielten, lebt ihr punkiges Debüt von der Dualität Garricks mit Nick Warnock. Die Gitarren der beiden zappeln mehr als dass sie gezupft würden, immer wieder scheinen sie aneinander vorbei zu spielen und je mehr sie zueinander finden, umso mehr drohen sie wie in „On The Screen“ an den Rändern auseinanderzufallen. Stellenweise klingen die Songs so in nur einer isolierten Stereospur stimmiger, doch erst wenn man hört, was der andere Sechssaiter macht, wird es eben ein Ruined-Fortune-Song – die typisch australische Kunst des Kaputtseins.

(Texte: Uli Eulenbruch & Pascal Weiß)

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