Haldern Pop 2014: Früher, Hier und Jetzt

Wer zum ersten Mal dieses beschauliche Festival in Rees besucht, muss es schwer haben, denn hier sind alle Stammplätze vergeben. Manch einer weist freundlich darauf hin, andere wie unsere Nachbarin eher mit Nachdruck: „Was wollen die denn hier? Ich bin jetzt seit zehn Jahren immer genau an dieser Stelle – die habe ich dabei noch nie gesehen. Die sollen mir bloß nicht den Platz wegnehmen.“

Die Angst davor, (vermeintliches) Eigentum zu verlieren, gehört wohl immer irgendwie zum Erwachsenwerden dazu. Genau wie der Blick in den Rückspiegel, das Schwelgen in alten Zeiten. Sätze wie „Weißt Du noch, 95, auf dem Bizarre, der Auftritt von Kyuss?“ beim Aufwachen wundern einen genauso wenig wie die dreijährigen Pfandsammler, die irgendwie den Papa abgehängt haben. Überhaupt darf man sich hier amüsiert über die Pläte streicheln und fleißig in die Runde strahlen, auch wenn man längst die 3 oder gar ganz andere Zahlen vorne stehen hat. In Haldern, da altert alles um einen herum einfach mit, wie die alte Fußballtruppe, mit der man nun seit 20 Jahren zusammen spielt. Da fällt die eigene Langsamkeit auch nicht weiter auf.

Und das Beste an diesen Tagen: Neben Patti Smith sehen dann doch alle eh wieder jung aus. Die Fläche vor der Bühne ist zu Beginn des Konzerts der Punk-Ikone noch prall gefüllt, für viele die große Chance, wieder einen Haken auf der ewigen Konzertliste machen zu können. Zu viel mehr reicht der leicht abgehalfterte Auftritt leider nicht, so dass sich doch recht schnell eine kleine Schlange am Ausgang bildet – oder freundlicher ausgedrückt: Auf dem Weg zum Spiegelzelt. Der Andrang in der muckeligen und – ganz wichtig! – überdachten Stätte ist insbesondere am regenreifen Freitag kaum überschaubar (gleiches gilt auch für die Haldern Pop Bar). Doch hat sowas auch sein Gutes, schließlich entsteht beim Auftritt von All The Luck In The World wohl das schönste Bild des Festival-Wochenendes, als sich etwa 20 Leute spontan draußen vor dem komplett überfüllten Zelt gemeinsam vor der Leinwand glückselig durch den Regen tanzen.

Auch sonst ist das Zelt durchweg prall gefüllt und genießt seit Jahren einen ausgesprochen guten Ruf. Dieses Jahr überzeugen hier unter anderem Speedy Ortiz aus Massachusetts: Lässt die Band nicht eh schon jedes 90er-US-Indierock-Herz höher schlagen, setzt Frontfrau Sadie Dupuis noch eins oben drauf, indem sie tatsächlich, sowohl was die Positionierung und Haltung als auch die Mimik und Gestik angeht, immer deutlichere Parallelen zu Stephen Malkmus (was der wohl von ihrem Haarband hält?) aufweist.

Nach dem chaotischen Garage-Punk der Black Lips wirkt der Post-Punk von Ought beinahe streng und diszipliniert. Mit dem sich langsam in Tempo und Dynamik steigernden Titelsong ihres fantastischen Debütalbums „More Than Any Other Day“ eröffnen die vier Studenten aus Montréal ihr Konzert, in dessen Verlauf Sänger und Gitarrist Tim Beeler seine Qualitäten als charismatischer Frontmann beweist und mit leicht abwesendem Blick über die Bühne tänzelt oder seine Texte mit theatralischen und ausdrucksstarken Gesten unterstreicht. Einen angekündigten neuen Song konnte die Band zum Schluss wegen einer gerissenen Basssaite ärgerlicherweise nicht mehr spielen.

Doch wir haben ja noch die Bluesrocker von Royal Blood! Mit seinem druckvollen Garage-Sound wirkt es vor den ruhigen The Slow Show und Benjamin Clementine etwas fehlplatziert, dennoch bringt das Duo aus Brighton das Spiegelzelt trotz tropischer Temperaturen mächtig in Wallung. Frontmann Mike Kerr entlockt seinem Bass brachiale, aber extrem wirkungsvolle Riffs, die Schlagzeuger Ben Thatcher unnachgiebig vor sich her treibt. Am Ende setzen sich sogar einige Mutige über das Crowdsurfing-Verbot hinweg und auch Thatcher verabschiedet sich vor dem finalen Song für ein kurzes Bad in der Menge von der Bühne.

Ebenfalls zu den diesjährigen Haldern-Highlights zählt sicherlich am späten Samstagabend der Auftritt von Sun Kil Moon: Was kann es schon Schöneres geben, als bei lauwarmer Abendluft im Gras zu liegen und Mark Kozelek zu lauschen, der das Leben schon zu Lebzeiten Revue passieren lässt und all die Tücken des Alterns offenlegt, stets mit einem Schmunzeln unterlegt, das er wiederum nie zeigen würde. Am Ende gewinnt er den Kampf gegen die Trägheit, erhebt sich aus seinem Stuhl und läuft für die beiden letzten Stücke gar einige Male flapsig auf der Bühne auf und ab – und erinnert dabei etwas an James Murphy.

Was sonst noch geht an diesem Wochenende? Für einen der Startschüsse oder vielmehr orchestriertes Startgeflüster sorgt Grant Hart gemeinsam mit dem Stargaze-Ensemble in der Kirche St. Georg, während Kurt Vile mit wehendem Haar und Band auf der Byzanzstage (heißt jetzt so) ziemliches Interesse an Gitarrensolos zeigt. Auch Conor Oberst kann auf der Hauptbühne trotz manch übler Rockerpose immer noch begeistern. Ganz besonders, wenn er alte Bright-Eyes-Stücke wie „Lua“ oder „Bowl Of Oranges“ (mit Unterstützung seiner Geschwister von First Aid Kit) zum Besten gibt. Tja, das waren noch Zeiten, sag ich euch.

(Pascal Weiß & Daniel Welsch)

3 Kommentare zu “Haldern Pop 2014: Früher, Hier und Jetzt”

  1. Vinnie sagt:

    Die beiden Mädels von First Aid Kit mit „t“ sind zwar Geschwister. Geschwister von Conor Oberst sind sie aber nur im Geiste :-)

  2. Hab ein wenig drüber nachgedacht, ob man das wirklich noch extra in Anführungszeichen setzen muss, dabei dann glatt den schwerer wiegenden Schreibfehler übersehen. Danke für den wachsamen Blick, ist korrigiert.

  3. Pascal Weiß sagt:

    Geht auf meine Kappe ;-)

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