Ja, PanikLIBERTATIA

Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit. Vor drei Jahren veröffentlichten die damals noch zu fünft agierenden Wahl-Berliner von Ja, Panik ihr ausschweifendes, variantenreiches Magnum Opus, das sowohl beim Feuilleton wie auch bei den Hörern auf äußerst positive Resonanz stieß. Freilich ist es danach immer a bissl schwer, denn oftmals steht man mit dem sogenannten Album nach dem Album auf einer Art Scheideweg, der nicht verlustlos gegangen werden kann.

So auch hier: Ja, Panik sind mittlerweile nur noch zu dritt, Christian Treppo und Thomas Schleicher verließen die Band vor den Aufnahmen zum neuen Werk und zwangen die restliche Band förmlich zur soundtechnischen Reduktion. Wobei „Zwang“ ein hartes Wort ist für den süßen Sound, den Ja, Panik auf „LIBERTATIA“, ihrem nunmehr fünften Album, kultivieren. Libertatia, da werden jetzt die Belesenen unter Euch wissend aufstöhnen, das war doch die utopische Piratenrepublik, in der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bereits viele Jahre vor der Französischen Revolution zu den geforderten Handlungs- und Reflexionsidealen erhoben wurden. Es sollte hernach keine Unterdrückung geben, weder von Sklaven, noch von Frauen, noch von irgendwem sonst. Ja, Panik erheben diese Utopie zum roten Faden und Leitmotiv ihrer neuen Platte, machen daraus aber keinen schweren literarischen Stoff, sondern ein leichtfüßiges, popverliebtes Album.

Bereits der vorab veröffentlichte und mit einem minimalistischen Badespaß-Video versehene Titelsong zeugt mit traumwandlerischer Sicherheit von der Stringenz in Komposition und Ausdruck, die Ja, Panik auf diesem Album perfektionieren. Selbst eigentlich ungelenke und mit moderner Tanzkultur sicherlich noch nie in Verbindung gebrachte Inhalte wie die Europäische Zentralbank werden dem Primat des Hüftkreisens unterworfen, was „Dance The ECB“ dann konsequenterweise ganz vorzüglich gelingt. Klasse auch, wie das Trio in „Post Shakeytime Sadness“ poetisch höchst ansprechenden Postpunk spielt und dabei keine Sprachgrenzen akzeptiert: „Plötzlich stehst Du vor mir, sagst: Andy, dis moi oui, dis moi oui, do yo, do you wanna be – for tonight my jewellery?!“ Ja, Panik reißen die Mauern in unseren Köpfen ein und errichten daraus Mahnmale der Tanzbarkeit.

Im schattig-dunklen „Alles leer“, das sich irgendwo zwischen gut informierter Selbstsicherheit und Falco’scher Arroganz platziert, referiert Andreas Spechtl über die Inhaltlosigkeit urbanen Lebens, über das komplette, vollständige Verschwinden. Die Einswerdung mit dem Nichts, klug getaktet und in schnittigen vier Minuten erzählt. „Antanarivo“ bildet dann den eleganten Abschluss einer rundum gelungenen Platte, eine Rundreise um die Welt, hinein ins Herz, dorthin wo alle Befindlichkeiten wohnen und zurück auf festen Grund. Man mag dabei vielleicht an PeterLicht denken, aber gezwungen fühlen muss sich keiner. „LIBERTATIA“ ist letztlich die bestmögliche Platte, die Ja, Panik zu dritt und als Reaktion auf den direkten Vorgänger machen konnte. Aufs Wesentliche verkürzt, genial gedichtet und stilistisch kohärent, ohne eingefahren zu sein. Wer jetzt das Ticket nach Libertatia nicht löst, ist nicht zu erlösen.

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