Buchempfehlung: Das Geschäft mit der Musik

Entgegen landläufiger Meinung hat man als MusikerIn allerhand zu tun. Sein Instrument üben, Stücke schreiben, einstudieren, arrangieren (für Studio und live), aufnehmen und aufführen. Womöglich muss man Konzerte selbst buchen, zu diesen anreisen, die Zeit bis zum Soundcheck absitzen, die Zeit bis zum Auftritt absitzen (also oft und lange warten), einen Schlafplatz haben und dorthin gelangen, weiterreisen. Von dem ganzen Erledigungen rund um eine Veröffentlichung, Musikvideos und dergleichen einmal abgesehen.

Solange man damit keinen nennenswerten Umsatz generiert, gilt all das allgemein als Hobby oder Zeitverschwendung. Wenn die Musiker etwas älter und wenig bekannt sind, dann womöglich sogar als Weigerung, „endlich erwachsen“ zu werden, als Selbstüberhöhung, prätentiöses Gehabe und weiß der Geier was noch. Schließlich hat ja niemand darum gebeten, dass man Musik spielt. Nicht zumeist, aber immerhin häufig begegnet einem Bagatellisierung, Unverständnis oder gar Kritik, manchmal noch diffuses Wohlwollen, vor allem, weil man ja nie wisse, ob sich doch noch Erfolg, und zwar kein künstlerischer, sondern wirtschaftlicher, einstellen werde. Letzteres halte ich in unserem Fall (es handelt sich um die Gruppe TWISK) für höchst unwahrscheinlich.

Es ist nicht kokett, wenn ich sage, dass ich mit Musik niemals Erfolg im Sinne von Geld verdienen haben werde, zumindest nicht mehr, als ich dafür ausgebe. Kaum jemand bestreitet seinen Lebensunterhalt mit Musik. Wer sich auf den Versuch einlassen kann, hat entweder Glück, eine gute Infrastruktur (Label, Vertrieb, Bookingagentur, Verlag), wohlhabende Eltern, Rücklagen, keine Kinder oder ist bereit, Jobs anzunehmen, die man auch erst einmal tun können wollen muss, in etwa ein sehr prekäres Dasein führen oder zum Beispiel als Mucker auf Hochzeiten spielen. 

Wer nur Letzteres will und davon lebt, spielt vielleicht Musik, macht sie aber nicht wirklich. Eine funktionale Verwendung von Musik ist in Ordnung, beschränkt sie allerdings. Denn Musik ist Kunst, egal, ob es eine Nachfrage nach ihr gibt, die sich auch finanziell niederschlägt, ob siebzehn oder zwei Instrumente, Akkorde, Rhythmen oder Harmonien verwendet werden. Musik wird so oder so gemacht und muss auch so oder so, also jenseits von Verwertbarkeit, machbar sein. Was gut oder schlecht ist, was bleibt, prägt und einst geschätzt sein wird, weiß niemand. Und schon gar nicht diejenigen, die einen kulturellen Kanon aus Werken von Menschen zusammenstellen, die zu Lebzeiten nicht einmal „verkannt“ (mit diesem Ausdruck schmeichelt sich doch nur die Nachwelt) waren, sondern einfach nicht wahrgenommen oder ausgebeutet wurden. Anerkannter Künstler sein, das mit hat wirtschaftlichem Erfolg nichts zu tun und anerkannt zu sein hat nichts mit Kunst zu tun. Im Normalfall verhalten sich Menschen einfach schöpferisch und erschaffen Werke, von denen niemand weiß, was mit ihnen einst geschehen wird. Kunst entsteht ungefragt. Keiner wollte von McCartney ein „Yesterday“, Lou Reeds „Heroin“ entstand sicher nicht anhand von Marktforschung. Niemand erwartete von Talk Talk „Spirit Of Eden“ und „Ulysses“ von Joyce wurde erst einmal verboten, Georg Büchners Werk zu Lebzeiten missachtet, Nick Drake ebenso, auch Herman Melville war kein Star, Lovecraft nicht, Jean Paul nicht … Das ließe sich weiter für unterschiedliche Kunstformen fortsetzen, ist aber nicht weiter dramatisch. Wir wissen einfach nicht, was wie wirken wird und Bestand hat, wir wissen nur, dass es bisher oft Werke waren, die sich erst einmal nicht verwerten ließen, dass die Verwertung von Kunst im großen Stil (und meist nicht durch die Künstler selbst) überhaupt etwas recht Neues ist. Und obendrein sagt all das nichts darüber aus, was eine Gruppe, ein Song, ein Album einem Menschen bedeuten können.

Seit bald 15 Jahren spiele ich in Bands. Der Grund dafür ist einfach: Ich wüsste nicht, warum ich damit aufhören sollte. Ein Mal habe ich es bisher versucht und wurde darüber unglücklich. Warum das so ist, hat sicher persönliche Ursachen, viel lieber würde ich es etwas überhoben mit dem „Menschen an sich“ begründen, dem Wunsch, auszudrücken und zu gestalten, zu teilen und auch zu verändern, zu erinnern und einfach zu kommunizieren. Mit wem, weiß ich dabei gar nicht, eine Zielgruppe gibt es nicht.

Wäre es nicht besser, wenn es eine geben würde? Nur, damit endlich einmal etwas rumkommt, also finanziell, man unabhängiger wird, indem man sich einer möglichen Zielgruppe zuwendet? Oder wird’s nie unabhängiger als jetzt, wenn damit kein oder nur recht wenig Geld verdient werden muss, da ich meine Arbeitskraft anderweilig verkaufe? Sind das private Sorgen oder gesellschaftliche? Sollte sich eine Gesellschaft um meine Marotte scheren, ihr mit Verständnis, gar Unterstützung begegnen?

Solche Fragen sollte man sich stellen, nicht gleichzeitig und immerzu, aber hin und wieder, zumindest, wenn man Musik macht oder hört. Mich beschäftigen sie immer wieder, weshalb ich mich sehr über „Das Geschäft Mit Der Musik“ gefreut habe, geht es hier doch vor allem um den wirtschaftlichen Rahmen, der das Geschäft mit und dadurch eben leider auch die Musik selbst und deren gegenwärtige gesellschaftliche Funktion bedingt. Der Autor Berthold Seliger ist Konzertagent und -veranstalter (unter anderem The Residents, Lambchop, Bonnie ‚Prince‘ Billie, Patti Smith, Calexico) sowie, viel besser noch, Musikliebhaber.

„Das Geschäft Mit Der Musik“ verbindet all das zu einer Kritik der bestehenden Verhältnisse innerhalb der Musikwirtschaft, also des neoliberalen, kapitalistischen Kulturbetriebs einer Gesellschaft, die es sich im drögsten Biedermeier gemütlich macht, wenn sie denn kann. Es geht um Monopolbildung und darum, welches Kapital sich wo weshalb sammelt, die Rolle der Veranstalter, Tickethändler und Musiklabels ebenso wie der Presse, außerdem noch um die wirtschaftliche und rechtliche Situation von Musikern, und wer mag, findet hier obendrein eine angenehm sachliche Definition von Independent. Allzu viel Erfreuliches kommt bei dieser Bestandsaufnahme nicht herum, und hin und wieder könnte man Seliger Kulturpessimismus vorwerfen. Das wäre verfehlt, es steht nicht um die Musik selbst schlimm, gute Musik wird es geben, solange sie gespielt wird. Problematisch ist vielmehr die kapitalistische Gesellschaft mit ihren in Konformität vereinzelten Menschen, die glaubt, Konsum ersetze nicht etwa Freiheit, sondern dessen kurzlebige Freuden wären Freiheit. „Fun“ aber ist laut Adorno und Horkheimer ein „Stahlbad“, und auch, aber nicht nur Adorno wird von Seliger gern zitiert. Pop ist auch für ihn gegenwärtig meist nichts anderes als Schlager, und die, ich zitiere wieder Adorno, „(…) beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben.“ Das war einmal anders und kann auch wieder anders werden.

Wer sich für diese These zumindest zu interessieren vermag, wird es auch verkraften, dass dieses Buch nicht nur aus essayistischen Exkursen, sondern (leicht verständlichen) Darlegungen über den Konzertmarkt besteht. Dieser hat sich laut Seliger (und die Zahlen machen es glaubhaft – Zahlen, die ich nun nicht zitieren kann, da ich das Buch verliehen habe) in den letzten Jahrzehnten zu einer gesuchten Einnahmequelle entwickelt. An ihr sind vor allem Menschen interessiert, die einen sehr pragmatischen Umgang mit Musik pflegen, da hier zum Beispiel nach Gutdünken und ohne Risiko Gebühren beim Ticketverkauf erhoben werden können oder sich wirtschaftlich reizvolle Effekte einstellen, wenn Location, Konzertveranstalter, Tickethändler und Radiosender zur selben Firmengruppe gehören. Außerdem wird über Sponsoring, also Reklame sehr gekonnt (und zu Recht) geschimpft. Und zwar nicht gemosert, sondern eher angeklagt, weil sich hier  Musikschaffende mitsamt Werk ebenso wie die Presse, Konzerte und Festivals als Teil eines Lifestyles verkaufen lassen. Andere Themen sind das Urheberrecht, die GEMA und der Tonträgermarkt. Unter anderem.

Seliger greift vieles auf und hat zu vielem eine klare Meinung. Auch dazu, was Musik mit Politik zu tun hat und nicht haben sollte, in etwa, wenn es um staatliche Förderung von Pop beziehungsweise der Forderung nach dieser geht, der Seliger nichts abgewinnen kann. Stark auf ein Beispiel (und zwar durch mich, nicht Seliger) heruntergebrochen lautet sein Fazit: Wenn die Mieten niedrig genug sind, können die Menschen auch in Ruhe gute Kunst machen, nicht, wenn der Staat ihnen die zu hohen Mieten zahlen hilft. Und damit dürfte er richtig liegen. 

Berthold Seliger:
Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht.

 Edition Tiamat, Critica Diabolis, 2013.
Broschur, 356 Seiten. 18,00 Euro (eBook € 14,99), ISBN: 978-3-89320-180-8

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