Man möchte Mike Hadreas in einen grobgestrickten, viel zu großen Wollpullover stecken und ihn dann einfach in den Arm nehmen und für immer festhalten. Denn spätestens nach Song drei ist klar: Auch der Zweitling des amerikanischen Songwriters braucht nichts dringender als Wärme in jeglicher Form, absorbiert er nämlich nur die kruden Stimmungen eines jungen Mannes, der es wagt, eine gute halbe Stunde bloß nach Innen zu horchen.

Dort rumort es gewaltig. „Take everything away“, schluchzt er bei „17“ und kämpft sich weiter durch die Erinnerungen an viele gebrochene Herzen, vergebene Chancen und das Ende von vielem, das oftmals so gar kein Hesse’scher Neuanfang sein will. Es ist ein Album über Liebe, das Sehnen, das Flehen, das Verzehren. Und die Enttäuschung. Vor allem. Bis zum letzten gemeinsam verscheuchten Federkissen. „I will carry on, with grace, zero tears“, heißt es da mit selbstbetrügerischem, trotzigem Unterton. Er bemüht sich redlich, versucht sich in Selbstbeschwörungen, dass es schon alles nicht so schlimm sei, wie es scheint. Tränen werden kübelweise vergossen.

Hier regiert die Gebrochenheit, sittsam aufpoliert und dargeboten in ganz reduzierter Weise zu Klavier und Akustikgitarre, verhangen mit endlosem Hall. „I am a freak, please pray for me“, singt er fast auf eine sarkastische Art, vielleicht die einzig wirksame, dem Schmerz zu begegnen. Sein Zweitling ist voll von tiefgründiger Emotion, gespickt mit Details (verhallte Paukenschläge, sämige Streicher) in einer Atmosphäre, die in weißen Schwaden zu wabern und fast das funzlige Licht der Hoffnung zu umhüllen scheint.

Es braucht fast vier Songs, bis zum ersten Mal merklich das Schlagwerk einsetzt. Und doch braucht es hier kein großes Repertoire an Instrumenten, um Intensität zu erzeugen, im Gegenteil. Magisch und intim, mit zittrigen Beinen und rundlicher Stimme wird hier ganz überzeugend musiziert. Voll von geerdeter Schwermut und überirdischer Sehnsucht, die gleichermaßen trägt und versehrt. Eine Symphonie aus bittersüßer Gefühlsduselei und schweren Bürden – von Anfang an, bis zum abschließenden Gospelsong, eine Lektion in Schönheit und Melancholie.

Zwölf kleine Songs sind auf „Put Your Back N 2 It” versammelt und bloß der Titel scheint etwas aufgesetzt prätentiös. Innen bieten sich wundersame Melodien dar, die immer bedrohlich an der Kante zum Kitsch wanken, aber auf eine romantische und unsagbar zärtliche Art zutiefst ehrlich wirken. Was beim Vorgänger noch etwas rau und provisorisch wirkt, wurde hier raffiniert ausproduziert – man erinnert sich Antony & The Johnsons‘, Maximilian Heckers, des letzten Aereogramme-Albums (ohne den Bombast) oder der poppigen Ergüsse von Grandaddy während ihrer „Sumday“-Phase. Es ist Wehklagen in einer so wundersamen Vollendung ohne wirkliche Verstörung und auch wenn diese Platte sich klein macht: Sie ist genau das Gegenteil.

77

Label: Matador

Referenzen: Chris Garneau, Maximilian Hecker, Antony & The Johnsons, Sufjan Stevens, Grandaddy

Links: Facebook | Label | Albumstream

VÖ: 17.02.2012

5 Kommentare zu “Perfume Genius – Put Your Back N 2 It”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Wirklich gerne gelesen, Markus, kann die Rezi nahezu an jeder Stelle unterschreiben. Die Verbindung zu Aereogramme (vor allem zu den den Akustik-Bootlegs) habe ich auch sofort gezogen, genauso nah dran ist vermutlich nur noch das ziemlich tolle gleichnamige Debüt von Tom MacRae.

  2. „Was beim Vorgänger noch etwas rau und provisorisch wirkt, wurde hier raffiniert ausproduziert“

    Dachte ja Anfangs, das würde mich nicht stören und war auch sehr angetan vom Album. Mittlerweile ist’s aber auch schon wieder vorbei mit der Faszination. Irgendwie fehlt die Magie des Vorgängers, die mich dazu gebracht hatte, das Album auch Wochen und Monate später immer und immer wieder zu hören.

  3. Mir geht das genau andersrum – das erste war okay, aber das aktuelle hat eine neue Qualität. Im Songwriting UND der Produktion. Für mich immer noch eins der schönsten Alben des Jahres, was magst du so, Matthias?

  4. hmm, schwer zu sagen, aber meine alben des jahres bisher the twilight sad, i like trains, radical face (auch wenn’s ja letztes jahr schon in den usa erschienen ist), admiral fallow und ganz oben I Build Collapsible Mountains mit Songs From That Never Scene (erscheint zwar erst im September, durfte es aber schon hören) ;)

  5. echt, die Twilight Sad? Die mochte ich früher sehr, aber die Singles reizten mich nicht, so dass ich bislang noch nicht reingehört habe. Das sollte ich nachholen.

    Bei mir bislang sehr viel Elektronisches vorne (Talabot / Burial / Kraviz / Claro Intelecto / Dundov / Goth-Trad / Blondes / Traxman) – und danach die üblichen Indiedinger (Julia Holter, Lotus Plaza, Polica, Willis Earl Beal).

    Generell bislang nicht unbedingt ein Jahr für herausragende Platten…

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