Biotop-Pop Hamburg

Biotop-Pop Hamburg

„Hamburg, Stadt in Norden“, mit diesem sehr guten und je nach Standort wahren Slogan empfahl sich die zukunftsträchtige Partei „Die Partei“ bei den letzten Wahlen in der Freien und Hansestadt Hamburg.

Und es funktionierte, insgesamt versammelte die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ mit 0,7% doppelt soviele Stimmen wie noch 2008 auf sich. Das lag mit Sicherheit auch an einem ausgefeilten Wahlprogramm, dessen Inhalte sich hüteten, über die Bedürfnisse der BürgerInnen die Nase zu rümpfen. „Kitas werden systematisch zu Kompetenzclustern für Spielen, Lernen und Lachen ausgebaut.“, „Der Medienstandort Hamburg wird von uns richtig gestärkt. Wahrscheinlich durch Medienakademien, neue Medienpreise und pompöse Pressebälle.“, und „Hamburg muss erste comedy- und musicalfreie Zone Deutschlands werden. Musicals sind künstlich aufgeblasener Zinnober und Kultur für Kleinbürger. Comedy ist Dreck.“, das zieht. Wer jetzt angefixt sein sollte, schaue sich bitte hier das Regierungsrogramm in seiner strahlenden Gänze an, wir aber wenden uns nun nach dieser Einleitung, die bei aller Propaganda einfach die sympathischste Seite der Hamburger Politik vorstellen sollte, wieder der Musik zu.

Das dazu dienliche Zitat liefern uns Tomte, die einst fragten „Wie sieht’s aus in Hamburg“? Greifen wir die Frage also auf, nachdem wir noch einmal kurz zusammen fassen, was bisher so geschah. Wir hätten da erst einmal Carl Philipp Emanuel Bach, dann um einiges später den Seemanns-Mythos (so etwas wie Hans Albers), das Beatles-Gastspiel, ein bisschen Punk-Glorie mit Slime, Diskurspop, die „Eimsbush“-Posse, „Hamburger Schule“, GHvC-Brüderlichkeit, Audiolith-Exzesse, das sehr gute Smallville-Label und sicherlich einiges mehr, wenn man sich die Mühe machen würde, in die Tiefe zu gehen und zu differenzieren. Vermutlich käme dadurch aber auch das eine oder andere hübsche Schlagwort abhanden. Uns aber könnte das recht sein, denn dort, wo wir uns nun hinbegeben werden, brauchen wir sie nicht, jedenfalls keine mit Lokalkolorit, auch, wenn alle vorgestellten Bands und KünstlerInnen in Hamburg leben.

glacier (of maine)

Aktuelle Veröffentlichung: „above and beside me“

glacier

Seit 2005 betreibt Richard Arthur McPhail sein Soloprojekt glacier (of maine), „above and beside me“ ist sein zweites Album. Es erschien mit dem Tage seiner Ankündigung am 16. März und ohne herkömmliche Label- oder Vertriebsstrukturen, wie ihr es erhalten könnt, erfahrt ihr am Ende.

„above and beside me“ bietet eine mögliche Antwort auf die Frage, warum es bei Tocotronic in letzter Zeit gerne etwas dunkler, pompöser und origineller zuging. Rick McPhails Musik erinnert nämlich nicht einfach stark an seine Hauptband, vielmehr wird deren Prägung durch ihn hier offenkundig. Viel zu prägnant sind hier wie dort seine Gitarrensounds, und auch harmonisch fühlt man sich mehr als stark an die letzten Tocotronic-Alben erinnert (siehe den Song „the practice“), wobei man jetzt aber nicht darauf verfallen sollte, in etwa „distance = time“ als Tocotronic-Outtake zu bezeichnen. McPhail verfügt über eine leicht lakonische, etwas unbewegliche, aber mehr als nur songdienliche Stimme (in etwa wie ein fatalistischer John Grant), unprätentiös und deswegen für das Liebhaberwerk eines Könners besonders geeignet.

Dabei ist der Songwriters McPhail kein junger Bursche mehr. Als erfahrener Musikliebhaber erhält er seine Inspiration nicht vom gegenwärtigen Zeitgeist, sondern einer über die Jahre gewachsenen Plattensammlung, in der sich zum Beispiel Pink Floyd, Spacemen 3, ELO, Elliott Smith, Mazzy Star oder auch Bauhaus finden lassen dürften, wir empfangen hier einen Gruß aus einer anderen, noch nicht vergangenen, aber auch nicht zukünftigen Zeit. Für Menschen, die auf einem linearen Verlauf dieser  bestehen, dürfte das keinen Sinn machen. Doch wer einen solchen im Bereich der popmusikalischen Genres und Moden erkennen zu können glaubt, wird nicht nur an der als nächstes vorgestellten Band keine Freude haben, sondern spätestens im Laufe des letzten Jahrzehnts in so manche Verlegenheit und Trendhörigkeit gekommen und dem einen oder anderen Hype aufgesessen sein.

„above and beside me“ kann unter www.glacierofmaine.bigcartel.com als LP und CD erworben werden. Einen kostenlosen Download des Albums erhält, wer sich an info@glacier-music.com wendet.

Honeyheads

Aktuelle Veröffentlichung: „Trivia About”

honeyheads

Eigentlich würde es reichen, die im Bandinfo aufgeführten Zitate zu bringen, um zu zeigen, womit man es hier zu tun hat. Dort gibt es Lob von einem Mitglied der June Brides, Still Flyin’ mögen die Band, The Lucksmiths ebenso und auch Ebba Durstewitz von JaKönigJa war vom bisherigen Werk der Honeyheads angetan. Davon kann man sich ruhig einmal beeindrucken lassen, und wer dem zustimmt, mag Indiepop auch dann, wenn er so daher kommt, wie er es sollte: als Twee und Jangle.

Felt, Orange Juice, Television Personalities, The Pastels, Aztec Camera, Beat Happening, Acid House Kings und One Happy Islands: Wem diese Namen etwas sagen, hat vermutlich eine Vorstellung davon, worum es bei Indiepop geht, nämlich darum, nicht arty, sexy und cool sein zu müssen, auch provokant oder am Ende gar aggressiv sollte man sich nicht gebaren. Möchte man in einer Band spielen, so spielt man einfach in einer Band, auch, wenn man traurig ist und eine Stimme hat, die am ehesten in einen Schulchor passt, keine Frontsau ist und überhaupt nichts von Rock’n’Roll und seiner öden Dreieinigkeit mit Sex und Drugs hält. Wie das gehen kann, lässt sich zum Beispiel von den Girl Groups der frühen Sechziger sowie den später folgenden Beat- und Psychedelic-Bands lernen, ebenso von Songwritern wie Nick Drake oder aber Vashti Bunyan und eben den zahlreichen Bands , die sich seit dem Ende der 70er Jahre zu großen Teilen sicher von KünstlerInnen wie den genannten inspirieren ließen. Ganz wichtig dabei: Jegliche Machismen vermeiden, die haben im Indiepop nichts verloren und werden nicht bedient; im Übrigen ein Grund, warum frühe Indiepopbands das Attribut „Twee“ erhielten. Das Problem war nämlich für viele: Da sind Frauen auf der Bühne, aber es sind keine Rockchicks, nicht einfach nur Sängerinnen und schon gar nicht halbnackt, was soll das denn dann sein? „Cute“ und „Twee“ eben, was aber eher als Abwertung denn als Anerkennung zu verstehen ist, ähnlich, wie dies beim Ausspruch „Ach, wie niedlich…“ der Fall sein kann.

Die so betitelten Bands bekümmerte das nicht weiter, ihnen ging es um anderes, um Einfachheit, Nähe, Lebensfreude, Melancholie und Schönheit und Selbstbestimmung, Intentionen, die auch heute noch von Indiepop-Bands wie eben den Honeyheads geteilt werden. Kein Wunder, dass „Trivia About“ zuweilen etwas konservativ und eskapistisch wirkt: Das ganze Genre funktioniert so, richtet dadurch aber keinen Schaden an, die Inhalte sind nämlich durchweg verspielt, emotional und im Grunde ebenso lebens- und menschenfreundlich wie liebenswert. Wer’s auf eine Probe ankommen lassen möchte, erwerbe bitte einfach „Trivia About“ von den Honeyheads, höre ohne Unterlass dessen wunderbare Popsongs und frage die Gruppe per Mail nach Bandempfehlungen – Ich bin sicher, sie werden antworten.

„Trivia About“ von den Honeyheads erschien am 01.04.2011 via Marsh Marigold Records.

xrfarflight

Aktuelle Veröffentlichungen: „under the spell of the cyclops‘ view!” / „producing dust EP”

xrfarflight

Wie auch glacier (of main) und die Honeyheads tummeln sich xrfarflight musikalisch nicht gerade dort, wo eine Antwort auf die Frage gesucht und gefunden wird, wie zum Beispiel die Zukunft des Dubstep oder Chillwave aussehen könnte. Das aber hält weder sie noch sonstwen davon ab, gute Alben zu machen.

Seine Wurzeln senkt „under the spell of the cyclops‘ view!” dabei tief in den Humus der Rockmusik, auch hier dienen als Ahnen die Psychedelic Bands der 60er Jahre. Diese Quelle teilen xrfarflight mit zum Beispiel Motorpsycho, ansonsten wären da noch Sonic Youth und Deerhoof zu nennen, aber man kann das auch ruhig sein lassen, nach ein paar Durchläufen braucht man eh keine Referenzen mehr und ein Genre auch nicht, also kann man’s auch verschenken. Und so überlasse ich der Welt hiermit die wunderbare Wortgruppe „zeitgenössische Twee-Psychedelic“, Rockismen gibt’s nämlich keine, aber feinen Harmoniegesang, prägnante Riffs und  ein sehr expressiv gespieltes, tightes Schlagzeug.

„under the spell of the cyclops’ view!” erschien am 18.03.2011 via Hafenschlamm Rekords, außerdem ist auf Bandcamp die kostenlose “producing dust EP“ erhältlich.

2 Kommentare zu “Biotop-Pop Hamburg”

  1. […] TOUREN.de – Trivia About Honeyheads by Lennart […]

  2. […] TOUREN.de – “Trivia About” Honeyheads rezensiert von Lennart […]

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