Behutsam, aber zielstrebig schreiten sie zur Tat. Jeder kennt seine Position, jeder seine Aufgabe. Mit großer Geste wird das Zeichen gegeben. Dann spannen sie den Himmel auf. Es schießen noble Wörter durch den Kopf. Diese Musik würde man am liebsten mit „erhaben“ oder „stimmungsvoll“ zerreden und sich dabei von Matt Berningers Bariton ebensolche Begriffe unwiderruflich einschärfen lassen. Aber wie schon bei den überragenden Vorgängern „Alligator“ und „Boxer“ sollte man auch auf dem fünften The-National-Album „High Violet“ nicht lediglich bei dieser Stimme hängen bleiben, die Ruhe und Unruhe gleichermaßen verbreitet. Allem voran aber unpassende Vergleiche.

Für wenige Sekunden macht der Opener „Terrible Love“ den Anschein, unerwünschte Gäste abschrecken zu wollen. Dann wird die unsaubere Gitarre von verschiedensten Instrumenten glatt geschliffen, von einem Arrangement, das auch Ansprüchen einer Jazzband genügen würde. Die Rolle des kantigen, einzigartigen Schönlings im stillen Kämmerlein bleibt dem Vorgängeralbum. „High Violet“ zeigt The National ohne Scheu vor großen Momenten, szenischen Klavieranschlägen und Streicherpanoramen, bestrahlt damit aber noch immer angeknitterte Programmkinoleinwände, keine straffen Blockbuster-Segel. Alle Elemente, sei es ein Synthesizer-Loop, eine Oboe, oder eine weiche Akkustikgitarre, scheinen sich aneinander anzuschmiegen, sich in Diensten des übergeordneten, eher seidenen statt kratzigen Klangflors in Bescheidenheit zu üben und näher zusammenzurücken. Bryan Devendorfs Schlagzeugspiel weist hierbei den Weg. Meist dezent, doch nie überhörbar, oft sehr leise, doch an der rechten Stelle hervorstechend.

Obwohl The National seit jeher in der Farbpalette die dunkleren Töne wählen und Deckweiß nicht zu ihrem Inventar gehören dürfte, mag man „High Violet“ nicht wirklich düster nennen. In besonders elegischen Songs wie dem zarten „Sorrow“ wird den emotionalen Tälern ein fester Platz im Leben eingeräumt und zugestanden: „Sorrow’s my body on the waves / sorrow’s a girl inside my cake / I live in a city sorrow built / it’s in my honey, it’s in my milk.“ Im wachsenden und später aufbrausenden „Afraid of Anyone“ oder dem eingängigen „Lemonworld“, gleichzeitig vielleicht das kleine Highlight des Albums, ist der Himmel zwar wolkenverhangen, aber nie ohne hoffnungsvollen Schimmer Es wird stets Regen heraufbeschworen, allerdings nie ohne einen Schirm zu reichen. Kurz vor Ende steht die trostvolle Hommage „England“, mit hoch aufgeschossenen Bläsern und gewaltigem Schluss. „Vanderlyle Crybaby Geeks“ setzt den letzten Punkt hinter ein Album, das dann vielleicht doch das Wort „erhaben“ erzwingt. Das Aufkommen und Ausklingen der Streicher in diesem letzten Song – einfach zu stark, zu sehr am rechten Fleck, um dem ausweichen zu können. Ein Buch, ein Film, ein Album, das gute Ende ist eine Kunst für sich. The National machen weiterhin Musik, die man sich auf der eigenen Beerdigung vorstellen könnte. Und so gesellt sich zu „erhaben“ letztlich auch „würdig“. „Livin‘ or dyin‘ in New York / it means nothing to me.“

83

Label: 4AD | Beggars | Indigo

Referenzen: Woven Hand, Wilco, Sufjan Stevens, The Antlers, Okkervil River, Joy Division, Fanfarlo, Get Well Soon, Interpol, Spoon, The Walkmen, Frightened Rabbit

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VÖ: 07.05.2010

8 Kommentare zu “Rezension: The National – High Violet”

  1. […] dass gleich zwei Bands, die in der ersten Jahreshälfte mit ihren jeweils neuesten Werken „High Violet“ und „Sisterworld“ intern die oberen Ränge belegen, kürzlich bei eigens für Pitchfork […]

  2. […] allerorts geliebten Herren von The National, die haben es hierzulande mit ihrem großartigen „High Violet“ sogar bis in die Top 10 der Albumcharts geschafft; ein weiterer erfreulicher […]

  3. […] komplimentierte. Zum Schluss lieferten Yeasayer dann doch eine zumindest ordentliche Show, während The National besonders in den ersten zwei Dritteln mit der Technik und mauem Klang zu kämpfen hatten (oder hatte […]

  4. […] fällt auf, dass Arcade Fire beileibe keinen Einzelfall darstellen: Im Mai dieses Jahres knackten The National (51000 verkaufte Exemplare in der ersten Woche) die amerikanischen Top 3, Vampire Weekend schafften […]

  5. […] befinden sich u.a. Arcade Fire (2xLP), Caribou (2xLP), 2x The Walkmen (LP), 2x Kele (LP), The National (Expanded CD Edition), Shirts und 7-Inch-Splits von Menomena und die regulären CD-Ausgaben von […]

  6. […] Tatsache, dass Local Natives im Studio mit Aaron Dessner, Gitarrist und Keyboarder bei The National, zusammenarbeiteten, führte schon im Vorfeld dazu, dass viele Fans fürchteten, man würde sich zu […]

  7. […] bildet das 2007er-Album „Boxer“ den bisherigen Höhepunkt im Schaffen von The National. Mit „High Violet“ gingen sie den Weg konsequent weiter, verfeinerten ihren Sound jedoch nur noch in Nuancen. […]

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